Keine Nächstenliebe, nirgends

■ Freiburger Montagsdemos zeitigen Erfolg: Kulturchef Gerhard Jörder bleibt, statt dessen verläßt Chefredakteur Peter Christ die "Badische Zeitung". Gesucht wird ein heimatverbundener Nachfolger

Geahnt hatten es die Mitarbeiter der Badischen Zeitung schon, zumal am selben Tag eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einberufen worden war. Als Chefredakteur Peter Christ dann aber um 17.30 Uhr zur außerordentlichen Redaktionskonferenz bat und mit belegter Stimme seine Entlassung bekanntgab, herrschte eisiges Schweigen. Nur unterbrochen vom Schluchzen einer Redakteurin.

Das galt wohl nicht allein dem zum 1. Juli scheidenden Christ, sondern auch der Art und Weise, wie die Geschäftsführung der Badischen Zeitung Personalpolitik betreibt: Erst ließ sie den Chefredakteur eine rigorose Sparpolitik exekutieren, die u.a. zum Rausschmiß des Kulturchefs Gerhard Jörder führte, dann opferte sie Christ auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes, um die aufgebrachten Leser zu beruhigen. Schließlich will man denen ja nicht nur die Tageszeitung, sondern auch weiterhin Bücher und CDs verkaufen. „Die Verleger haben kalte Füße bekommen“, sagt eine Mitarbeiterin.

Und so liest sich das dann auch: Nachdem die Leser in den letzten Wochen darüber aufgeklärt worden waren, daß sich die Badische mitnichten (wie von der bösen überregionalen Presse behauptet) auf dem Weg zum Boulevard-Journalismus befinde und man auch ohne den Feuilleton-Guru Jörder eine lesbare Zeitung machen könne, ruderten die Verleger Christian Hodeige und Wolfgang Poppen gestern mit großen Stößen zurück: „Die Auseinandersetzung anläßlich der beabsichtigten Kündigung des Kulturchefs spitzten sich intern und extern derart zu, daß die Verleger zu entscheiden hatten... Uns ist klar, daß wir es Peter Christ unter diesen Umständen nicht zumuten können, weiterhin die BZ-Redaktion zu leiten.“ Nun muß also statt Jörder der Chefredakteur gehen, und während sich dessen Protegés noch grämen, nimmt der Kulturchef bereits Glückwunschadressen entgegen.

Bis ein Nachfolger für Christ gefunden ist, werden die bisherigen Stellvertreter Rainer Hupe und Thomas Hauser die Chefredaktion kommissarisch übernehmen. Daß sie dort länger verweilen, ist kaum anzunehmen, denn beide gelten als Christ-Leute. Noch vor zwei Wochen hatte Hupe die protestierenden Leser via Spiegel wissen lassen, daß man „in Freiburg einfach noch nicht begriffen hat, daß Rudi Dutschke tot ist“.

Nun muß nicht nur der zugereiste Hupe begreifen, daß „eine Zeitung in Freiburg etwas grundsätzlich anderes ist als in Hamburg“ – wie es Feuilletonchef Jörder schon dem geschaßten Chefredakteur ins Stammbuch geschrieben hatte. Auch die Verleger werden kaum noch einmal das Risiko eingehen, einen Chefredakteur aus Hamburg zu importieren – aus einer Stadt, die viele Freiburger in einem anderen Land wähnen.

„Worauf die Verleger aber künftig noch mehr Aufmerksamkeit lenken möchten, ist die Heimatverbundenheit, von der die Badische Zeitung getragen wird.“ Dieser Satz aus dem gestrigen Editorial könnte tatsächlich darauf hindeuten, daß nun nach einem echten Lokaljournalisten Ausschau gehalten wird, der lieber den Schwarzwälder Boten als das manager magazin liest. Auch eine interne Lösung wäre denkbar. Sowohl dem Politikchef Wolfgang Storz als auch dem Leiter der Reportageseite, Wolfgang Prosinger, wird intern zugetraut, die verfahrene Situation zu befrieden.

Auf jeden Fall wird es wohl längern dauern, bis ein neuer Christ gefunden ist. Als vor zwei Jahren ein Nachfolger für den scheidenden Ansgar Fürst gesucht wurde, ließ sich die Verlagsspitze monatelang Zeit. Damals hätte angeblich auch Kulturchef Jörder gern das Amt übernommen, wußte neulich der Spiegel – und damit mehr als die Redakteure der betroffenen Zeitung. „Jörder hat sich niemals um die Chefredaktion beworben“, erinnert sich ein Mitarbeiter.

Dafür war ein anderer Name im Gespräch: Heribert Prantl, inzwischen Innenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung. Der wäre auch heute keine schlechte Wahl, zumal München ja auch viel näher als Hamburg ist. Oliver Gehrs