Realste Realitäten

■ Körperbewußtsein kommt von innen: Die österreichische Malerin Maria Lassnig im NBK und der Galerie des DAAD

Fluch oder Erlösung, Hoffnung oder Bürde, Geborgenheit oder Ausgeliefertsein, in jedem Fall: Probleme mit der Körperlichkeit. All diese Schwierigkeiten schwingen in den Körperbildern von Maria Lassnig mit. Ganz sicher dient ihr der Körper als Selbstvergewisserung, als „realste Realität“, wie die Lassnig vor Jahren „das von mir bewohnte Körpergehäuse“ bezeichnete.

Die 1919 in Kärnten geborene Künstlerin hat schon 1948 mit ihren „Körperbewußtseinszeichnungen“ begonnen, in denen Informel und Figuration miteinander verschmelzen sollten. Diesen Weg hat sie bis heute nicht wieder verlassen: Körper als Schnittstellen zwischen Raumzuständen, als verlorene Fragmente, als aufgespießte Gefühlsbrocken, als Farbklumpen, als fixierter motorisch-malerischer Ausfluß. Jetzt stellt der Neue Berliner Kunstverein ihre Gemälde aus, und in der Galerie des DAAD, dessen Stipendiatin sie 1978 war, sind Lassnigs Zeichnungen zu sehen.

In beiden Berliner Ausstellungen vereinen sich mehrere Frag- Würdigkeiten zeitgenössischer Kunst. Das „Ausschöpfen der vollen visuellen Fähigkeiten, bevor der Mensch diese durch die Fotografie verliert“ markiert Lassnigs Experimentieren mit der Malerei als einer „Urzustandskunst“: wegkommen vom äußeren Schein, von der retinalen Wahrnehmung, hin zur Introspektion, zur eigenen Leiblichkeit.

Körpergefühl in bildnerische Sprache umzusetzen, gleichsam ein „Malen mit geschlossenen Augen“ (wie Ulrich Loock im Katalog schreibt), ist schwierig und kommt nicht ohne Anleihen bei der sichtbaren Welt aus. Aus der besonderen Konstellation von Komposition, Farben und Stofflichkeiten der Leinwand ergeben sich dennoch sinnliche Eindrücke, die wie Brücken ins Innere führen und eine neue Wertigkeit der Bildmittel begründen. Der Bildgrund bleibt unbearbeitet, ein helles Weiß, in dem der „Malfluß“ (er taucht auch in Bildtiteln auf) frei ausströmt, merkwürdig unförmige, amorphe Körperlichkeiten verknüpft und „Beziehungen“ herstellt. Sie können richtungsloses und verwirrendes Netz sein, gradlinige Bahn oder heftig ausschlagendes „Zik Zak“. Fast abstrakt wirkt die Reihe von „Nebeneinander Linien“, die sich als mehrfach überlappende Umrisse gegen das Bildgeviert abstützen und sich als Entitäten mit eigenen Gesetzmäßigkeiten im Farbraum behaupten.

Auch wenn Lassnig in ihren Selbstbildnissen die Physiognomie mit ins Werk einbezieht, weisen diese körperlichen Merkmale doch über subjektive Befindlichkeiten hinaus. Kühl-verfremdende Farben, Verzerrungen oder Amputierungen katapultieren das Porträt in einen „Science-fiction“-Zusammenhang, der eher beunruhigend wirkt. Doch Ironie und Groteske brechen den Schrecken. Etwa, wenn die Malerin lächerlich-hilflos, gedeckelt und blind, im „Selbstporträt mit Kochtopf“ posiert. Auch in den Zeichnungen (z.B. „Ich armer Außerirdischer von dieser Welt“ oder „Selbstporträt als Kleiderhänger“) stößt man auf diese Melange aus Witz und Frivolität.

Sehen oder nicht sehen, das ist die Frage

Die Zeichnungen vertrauen weit mehr als die Bilder auf die Vorstellungskraft, denn nur wenige Linien ziehen sich ahnungsvoll über das Papier, um sich erst im Kopf des Betrachtenden zu Geschöpfen zu formen. „Sehen oder nicht sehen, das ist die Frage“, so nüchtern genüßlich lockt die Künstlerin in ihr wundersames Zeichenreich, das bodenlos und offen die Phantasie reizt. Es läßt keine Ausflüchte in eine abgerundete, wohlige Bilderwelt zu, sondern rührt auf und irritiert.

Parallelen zur feministischen Kunst sind vorhanden, vor allem Lassnigs Einfluß als Professorin an der Hochschule für angewandte Kunst (seit 1980) ist groß. Außerdem finden sich reichlich Bezüge zur Bodyart und Körperzentriertheit anderer zeitgenössischer Positionen. Aber Lassnig beharrt auf Eigenständigkeit und Kontinuität, auf der Verbindung von sinnlichem Produkt und reflexiver Praxis. Vermutlich hat Catherine David sie für diesen Balanceakt als eine der wenigen MalerInnen für documenta-würdig empfunden. Michael Nungesser

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128–129, Di.–Fr. 12–18, Sa. + So. 12–16 Uhr; DAAD-Galerie, Kurfürstenstraße 58, täglich 12.30–19 Uhr; beide Ausstellungen bis 20.7. Der Katalog kostet 33 Mark.