Reif von der Insel

Mit 56 die Welt zu Füßen: Cesaria Evora aus Cabo Verde singt längst nicht mehr für Bargeld und Getränke. Divengleich genießt sie den späten Ruhm  ■ Von Daniel Bax

Die blanken Füße sind ihr Markenzeichen. Bevor sie zum Konzert auf die Bühne steigt, legt sie immer erst ihre Schuhe ab. „La Diva aux Pieds Nus“, die „barfüßige Diva“, hieß auch das erste Album, das sie 1988 in Paris aufnahm und mit dem sie sich in Europa einführte.

Damals war sie bereits weit über vierzig und erst wieder von einer Lebenskrise genesen, die sie für ganze zehn Jahre vom Singen abgehalten hatte, mehrmals geschiedene, alleinerziehende Mutter und nicht gerade heiße Anwärterin auf eine Popstar-Karriere.

Anfangs versuchte ihre damalige Plattenfirma, sie mit elektrisch verstärkten Coladeiras, den lebhafteren Kapverdischen Tanzrhythmen, unters Volk zu bringen. Als das nicht fruchten wollte, stieg man auf rein akustische Aufnahmen um. Ein weiser Entschluß, denn siehe da: Bald hagelte es Vergleiche mit Billie Holiday, und Cesaria Evoras Alben führten nicht nur die Verkaufslisten der Gemischtwaren-Sparte namens „Weltmusik“ an, nein, auch die Musikpresse lag der heute 56jährigen einvernehmlich zu Füßen. Eine „unwiderstehliche Stimme“, schwärmte die FAZ. „Von dermaßen tiefer, urtümlicher Emotionalität, daß allen Madonnenfiguren dieser Welt Fontänen blutiger Tränen aus den Augen schießen dürften“, legte D. Diederichsen in der Spex noch eins drauf.

Längst ist Cesaria Evora kein Insidertip mehr. Gerade ist in Frankreich ihre erste Biographie erschienen, verfaßt von der renommierten Le Monde-Journalistin Véronique Mortaigne. Der Kulturkanal arte widmete ihr ein Porträt, und sie selbst tourt, reiselustig wie der Papst, auf nackten Sohlen um die halbe Welt: Letzten Monat gab sie vier Konzerte in Brasilien, anschließend war sie in Europa, und derzeit gastiert sie in Australien.

Der Ruhm ist schon zur Routine geworden: Die rüstige Seniorin erträgt den Rummel um ihre Person mit amüsierter Gleichgültigkeit, gibt freundlich-verwundert Autogramme und läßt die immergleichen Fragen der Journalisten stoisch über sich ergehen, um möglichst schnell wieder die nächste Zigarette rauchen zu können.

Zu Hause, auf den Kapverdischen Inseln, findet sie immer wieder zur Ruhe. Denn dort, auf dem kleinen Archipel im Atlantischen Ozean, zwei Flugstunden vor der westafrikanischen Küste gelegen, ist garantiert nichts los. Die vergessenen Inseln entsprechen auch nicht gerade den Traumreisezielen aus dem TUI-Katalog. Bis 1455 war die felsige, karge Inselgruppe unbewohnt, dann wurde sie von den Portugiesen als Haltestelle für ihre Segelschiffe auf dem Weg nach Brasilien genutzt, auch als Drehscheibe für den Sklavenhandel.

Geblieben ist davon die kulturelle Nähe zu Brasilien und Portugal, das die Kapverdianer erst 1975 in die Unabhängigkeit entließ, sowie eine kreolische Mischkultur mit eigener Sprache und Musik. Etwa 380.000 Einwohner hat die Handvoll Inseln. Fast doppelt so viele leben anderswo, als Migranten in alle Winde verstreut, in Portugal oder den USA, in Italien oder Holland. Ihren kometenhaften Aufstieg verdankt Cesaria Evora freilich der französischen Musikindustrie, die dankbar Fremdes absorbiert, vor allem, wenn es, durch die geographische Nähe der Kapverden zur ehemaligen Kolonie Senegal bedingt, praktisch vor der eigenen Haustür liegt.

Cesaria Evora hat einem gleichförmigen Hausfrauenleben auf ihrem Eiland Sao Vicente erfolgreich getrotzt. Nachdem sie, wie die Künstlerlegende es erfordert, über viele Jahre hinweg nächtens durch die Bars und Kneipen der Hafenstadt Mindelo zog und dort bis zum frühen Morgen sang, entschädigt sie sich nun durch exzessiven Kleiderkauf und ausgedehnte Friseurbesuche für Entgangenes. Ihren angeblich legendären Alkoholeskapaden hingegen hat sie entsagt, schließlich will sie ihren plötzlichen Wohlstand noch einige Jahre genießen. Lieber wäre es ihr zwar schon gewesen, wenn die Welt früher auf sie aufmerksam geworden wäre, aber was kann man schon machen?

Daß ihre Stunde erst so spät kommen sollte, lag schließlich nicht an ihr, sondern daran, daß sich die Musikwelt gewandelt hat. Denn auch wenn Cesaria Evoras Musik zeitlos klingt, ihre Rezeption ist zeitgebunden. Cesaria Evora paßt in die Neunziger, wie, sagen wir einmal, Sade oder Tracy Chapman die Achtziger und Mercedes Sosa die Siebziger verkörperten. Das Sentiment ist vergleichbar, doch heute ist vor allem das authentisch Fremde gefragt – zumindest solange es das westlich geschulte Ohr nicht allzusehr irritiert.

Fremdartig vertraut und zugleich von einer angenehmen Portion spröder Exotik umgeben sind die traditionellen Mornas und die swingenden Coldeiras, der Kapverdische Inselblues. Barmusik vom Ende der Welt, von süffiger Melancholie, die sich über das Schlüsselwort Sodade – „Sehnsucht“ – erschließt. „Das Meer ist die Heimat der Sehnsüchte“ heißt eines ihrer aktuellen Stücke. Ihre beseelten Klagelieder, die Mornas, seien den Kapverdianern „Religion und Therapie“ zugleich, sagt die Evora. Idyllische Klangtherapie auch für den inselreifen Großstadtmenschen, der sich von ihnen umspülen läßt.

Hektisch hingegen ist Cesaria Evoras Management geworden: Als gelte es, verlorene Zeit aufzuholen, erscheint nun ein Album nach dem anderen mit neuen Liedern – im Dezember erst ein Konzertmitschnitt aus dem Pariser „Olympia“, vor kurzem nun das Studiowerk „Cabo Verde“.

Immer läßt sie sich bei ihren Aufnahmen von hervorragenden Instrumentalisten begleiten, wie dem Pianisten Chico Serra oder dem Gitarristen Bau, der auch die meisten Stücke auf „Cabo Verde“ arrangiert hat. Das bürgt für musikalische Qualität, die auch im Live-Vortrag kaum von den Studioversionen abweicht: Da weiß man, was man hat.

Cesaria Evora: „Cabo Verde“ (Tropical Music/Aris)