Leben von Brot und Hoffnung

In einem Dorf bei Tirana hausen die Menschen in Bretterbuden. Von einem Sieg der Partei von Albaniens Präsident Berisha bei den Wahlen am Sonntag versprechen sie sich eine bessere Zukunft  ■ Aus Bathore Barbara Oertel

„Kaffee“, murmelt der alte Mann und läßt sich langsam auf einem Stuhl nieder. Sein Gesicht ist eingefallen. „Was soll sich nach den Wahlen schon ändern? Ich erwarte nichts mehr. Zwei Jahre habe ich unter Enver Hodscha im Gefängnis gesessen, das Leben hat mich kaputtgemacht“, sagt er. Die meiste Zeit hat der 70jährige im Norden Albaniens verbracht. Vor zwei Jahren kam er hierher nach Bathore, 20 Autominuten von der Hauptstadt Tirana entfernt. Mit seiner Frau, seinen beiden Kindern und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Hoffnung hat er schon lange begraben. „Worauf sollte ich noch warten, außer auf meinen Tod? Schauen Sie sich doch um. Fünf Kriege können ein Land nicht so verwüsten.“

Ein Junge betritt den Raum, in der Hand einen Stapel von Flugblättern. Die Vereinigte Demokratische Partei, die den „Demokraten“ von Staatspräsident Sali Berisha nahesteht, ruft zur Wahl ihres Kandidaten Idriz Baftjar Jata auf. Die Partei verspricht Investitionen, Kampf gegen Korruption, ein Sozialprogramm und sogar Auslandsstipendien für begabte Studenten. „Alle hier müssen diese Partei wählen. Das ist unsere Zukunft“, sagt der Junge.

An eine Zukunft für sich und ihre Kinder haben einst auch die meisten der heute rund 26.000 Einwohner von Bathore geglaubt. Die überwiegende Mehrheit von ihnen, 80 Prozent, stammt aus dem Norden und kam Anfang der 90er Jahre, als es zum ersten Mal möglich wurde, den Heimatort zu verlassen, in das Dorf bei Tirana. Erst 1995 erhielten die Zugewanderten Papiere und und damit einen legalen Status. Ein Jahr lang zahlte der Staat den Familien eine bescheidene Unterstützung. 1996 dann wurde das entsprechende Gesetz annulliert. Jetzt ist hier jeder wieder sich selbst überlassen.

Die steinigen Wege, die kaum mit dem Auto befahrbar sind, werden von Hütten gesäumt, die aus Brettern zusammengenagelt sind. Was auf den ersten Blick wie Ruinen aussieht, entpuppt sich als halbfertige Häuser. Am Wegesrand sitzen ein paar junge Männer, vor sich auf einem Tischchen ein paar Früchte, Reis und Flaschen mit Wasser. Überall liegen Autowracks, auf denen Kinder herumklettern. Frauen in langen schwarzen Kleidern, das Haar unter einem langen Kopftuch verdeckt, treiben mit Stöcken eine Kuh, manchmal auch mehrere Schafe, vor sich her.

Uk Thacis Stirn legt sich in Falten. Der Bürgermeister von Bathore brütet über Namenslisten. „Das hier sind die bedürfstigsten Familien. Die französische Hilfsorganisation Première Urgence hat uns versprochen, Ende August für jeden 10 Kilo Mehl zu schicken. Aber solange können wir nicht warten“, sagt er. 2.500 Familien in Bathore haben nicht einmal Brot. Trinkbares Wasser gibt es nicht. Nicht selten müssen die Menschen kilometerweit laufen, um an das kostbare Gut zu gelangen. Nur knapp die Häfte der Bewohner hat Strom, fast niemand eine Arbeit. Auch eine Schule fehlt. „Wir haben angefangen, eine zu bauen, aber dann reichte das Geld nicht. Wer es irgendwie schafft, schickt seine Kinder nach Tirana. Aber das können nur die wenigsten“, sagt Thacis.

Tagelang war er unterwegs, um geeignete Orte für die Aufstellung der Urnen für die Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zu finden. Mit Erfolg. In sieben sogenannten Kiosken – in Bathore sind das Bretterverschläge – sollen die Menschen nun ihre Stimme abgeben.

In einem anderen sogenannten Kiosk, diesmal ein Container, ist die örtliche Krankenstation untergebracht. „Sali Berisha – keine andere Partei in Bathore. Die Demokratische Partei wird gewinnen“, hat jemand an die Tür gekritzelt. Im Krankencontainer steht eine Liege hinter einem Paravent. An der Decke klemmen drei Neonröhren in verrosteter Halterung. Strom gibt es nicht. Zwei Allgemeinmediziner und sechs Krankenschwestern betreuen die rund 26.000 Einwohner. Munir Shehu, einer der beiden Ärzte, öffnet seine Tasche und holt ein Stetoskop heraus – mehr Instrumente sind nicht vorhanden. Aus einer Schublade zieht er einige Ampullen und Einwegspritzen, eine Hilfslieferung von einer iranischen Stiftung. „Wir können nur Notfälle behandeln und Impfungen vornehmen“, sagt Shehu. „Das ist immerhin besser als nichts. Bis 1995 gab es hier überhaupt keinen Arzt.“

Eine der Krankenschwestern klopft nervös mit der Hand auf eine Stuhllehne. „Die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, sind unerträglich. Daran sind die Kommunisten schuld. Deshalb ist jetzt das wichtigste, daß sie nicht wieder an die Regierung kommen. Ich warte schon darauf, wählen zu gehen. Das ist die einzige Möglichkeit, die uns noch bleibt“, sagt sie.

Wie fast alle hier hat auch Shehu eine Pistole zu Hause. Benutzt hat er sie noch nicht. Er schiebt seinen Ärmel hoch. Zum Vorschein kommt eine tiefrote Beule. Im März hat er einen Streifschuß abgekriegt. Auf dem Weg nach Hause nach dem Besuch bei einem Verwundeten.

Munir Shehu öffnet die Tür zu einem nahe gelegenen Holzverschlag. Im halbdunklen, fensterlosen Inneren ist es stickig. Zwei Kinder sitzen auf einer Pritsche. In der Mitte des Raumes steht eine Frau. In gleichmäßigem Rhythmus bewegt sie mit dem Fuß sanft eine notdürftig zusammengezimmerte Holzwiege. Darin liegt ein einjähriger Junge, ganz und gar in Stoff eingehüllt und mit Bändern wie zu einem kleinen Paket verschnürt. Seine Zwillingsschwester, genauso eingepackt wie er, schläft. „Mein Mann ist weggegangen, um etwas zu essen zu beschaffen“, sagt die Frau. Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft zerfällt nur einige Meter von hier entfernt – ein Haus, das sie angefangen hatten, zu bauen. Jetzt ist kein Geld mehr da. „Mit dem wenigen, was wir haben, müssen wir uns ernähren.“ Wie? „Bohnen und Brot, manchmal auch ein paar Tomaten“, sagt sie.

Gleich hinter der Hütte hat sich ein bunkerartiges Gebäude auf dem ausgetrockneten Boden breitgemacht. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm klappt einen Stoffetzen beiseite, der als Vorhang dient, und bedeutet einzutreten. Vor einem verrosteten Ofen auf dem nackten Steinboden steht eine Kochplatte, davor Teller mit Resten von Reisbrei. Im Raum gegenüber reiht sich ein Bett ans andere. Acht Personen leben hier, Vater, Mutter und ihre sechs Kinder. Das jüngste, zwei Jahre alt, klammert sich ängstlich an seine Mutter.

„Wir ernähren uns nur von Brot“, sagt die Frau „und auch das haben wir nicht einmal jeden Tag. Doch vielleicht wird es nach den Wahlen besser werden. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.“