: Oldenburg auf dem Acker
■ CSD und Cäcilienparkplatz: Oldenburgs versteckte schwule Szene
Männer ächzen, Frauen stöhnen. Weiße Schleier auf der Mattscheibe stören den Blick auf den billigen Hardcore-Porno, schwirren herum zwischen Brüsten, aufgerissenen Mündern und steifen Schwänzen. Im Hinterzimmer des Oldenburger Sexshops ist es heiß und stickig, über den Stuhlreihen flackern fette Rauchschwaden im matten Licht des Fernsehbildes. Vor wenigen Minuten hat einer die Glühbirne aus der Fassung gedreht. Jetzt sitzt er in der hintersten Reihe, raucht, starrt in die Luft und beginnt, sich langsam das Geschlecht zu reiben. Ein Räuspern. Der Kerl neben im streckt gemächlich die Beine aus und öffnet den Reißverschluß. Und während auf der Mattscheibe Frauen und Männer kopulieren, kreuzen sich davor zwei Männerarme und geraten in Bewegung. Auf und ab.
„Hier im Sexkino“, sagt Martin, 27 (alle Namen sind geändert), „trifft sich alles“: Heteros, die auf Pornos stehen – und weitaus mehr Schwule, die das „keinen Deut“interessiert. „Die Filme machen mich nicht an. Wäre ja auch ein Wunder. Mir geht's hier um richtigen Sex.“Nur heute abend hat Martin kein Glück: „Zu wenig los. Hier gibt's gute Tage und schlechte Tage.“Wie im richtigen Leben halt.
Schließlich ist der Hetero-Sex-shop, so absurd es auch klingt, Teil schwulen Lebens in Oldenburg. Er gehört zu einer versteckten schwulen Szene, die sich in der protestantischen 150.000-EinwohnerInnenstadt – wie auch andernorts – in ihrer inneren Widersprüchlichkeit durch die Jahrzehnte gehalten hat: Der schwulen Sexualität soll sie Anonymität und Schutz verleihen – und findet dabei statt inmitten einer Umgebung, in der es vor Heteros nur so wimmelt.
Der Cäcilienpark, der Parkplatz an der Autobahn Richtung Leer, das Schwimmbad am Berliner Platz und die Hetero-Sexshops: Im halböffentlichen Raum tummelt sich vom späten Nachmittag bis tief in die Nacht hinein ein Kaleidoskop schwulen Lebens. Und dort, „auf dem Acker“(Martin), gleicht kaum eine Biographie der anderen: Da cruisen selbstbewußte Bewegungshomos ebenso herum wie verklemmte Familienväter, da sammeln Junghomos ihre ersten Erfahrungen und treffen dabei auf Ältere, die zwischen Bahnhofsklo und Videokabine Schutz suchen vorm Jugendkult in der Kommerz-Szene.
Autobahn Oldenburg-Leer, Rastplatz bei Bad Zwischenahn, kurz vor Mitternacht. Sieben, vielleicht acht Autos sind in Reihe geparkt, schemenhafte Körper werfen Schatten auf den Gehweg, bewegen sich langsam aufeinander zu, mustern, prüfen, gehen auseinander. Im Gebüsch glimmt eine Zigarette auf. „Der steht da schon 'ne Stunde“, sagt Hermann (51). „Der gehört auch zum Inventar hier. Genau wie ich.“So ziemlich jeder Schwule, so Hermann, „hatte schon mal anonymen Sex auf irgendeiner Klappe. Doch die wenigsten geben das auch zu.“Er gehört zu denen, für die die „versteckte Szene“mehr ist als nur die Chance zur schnellen Nummer zwischendurch: „Ich komme hierher, um Freunde zu treffen.“– Und um dem täglichen Versteckspiel vor der Familie, vor Arbeitskollegen und Nachbarn zu entfliehen, wie er zugibt.
Für jemanden wie ihn, so Hermann weiter, sei kein Platz in der anderen, der jungen, selbstbewußten und offensiven Oldenburger Homo-Szene: „Meine Welt ist das nicht.“Eine Teilnahme an der heutigen CSD-Parade beispielsweise, selbstbewußt zusammen mit rund 2.000 anderen Homos, komme nicht in Frage: „Wenn mich einer sieht – das kann ich mir beruflich gar nicht leisten.“
Und so zieht sich ein tiefer Riß durch die Oldenburger Schwulenszene: Da gibt's die Selbstbewußten, die händchenhaltend durch die Fußgängerzone spazieren. Denen es gelang, der Bremer Großstadt den Nordwest-CSD abzuluchsen. Die mit einem „Kiss-In“gegen einen homophoben Disco-Besitzer vorgingen. Und da gibt's diejenigen, denen in der Oldenburger Spießigkeit ein offen schwules Leben undenkbar scheint.
Die selbstbewußte, zumeist junge schwule Szene ist hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Faszination angesichts des Treibens auf dem – „Acker“. „Anonymer Klappensex gehört fest zum schwulen Leben. Von niemandem wird verlangt, mitzumachen oder das auch nur zu verstehen – es geht einfach darum, diese Andersartigkeit auszuhalten“, sagt zum Beispiel Peter (31) vom Uni-Schwulenreferat. Jochen (21) dagegen findet's „erniedrigend, im Gebüsch 'ne schnelle Nummer zu schieben. Das haben wir doch gar nicht mehr nötig.“ Jens Breder
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