Einmal rund um die „Käseglocke“

■ taz-Serie: Stadtführungen (Teil 4). Dresden im Wandel mit „igeltour“

Dresden liegt am Postplatz. Hier kreuzen sich die Stadtwege. Von hier ist es zum Kaufhaus so weit wie zur Semperoper, zum Hauptbahnhof wie zum „Neustädter“. Dieses Pflaster bewahrt eine höfliche Distanz zwischen barockem Gesamtkunstwerk und barocker Prothese, altem und neuem und neuestem Dresden. Von diesem Nebeneinander lebt der Platz. Hierher kommt niemand, nur um zu verweilen; der Postplatz wird nicht besucht, er wird überquert.

Mitten auf dem Postplatz steht ein Rundhaus mit Spitzdach. Es hat etwas von einem fernöstlichen Gartenpavillon; die Dresdner nennen es „Käseglocke“. Die Verkehrsbetriebe haben dieses Wartehäusel zum schicken Auskunftsbüro umgebaut.

Einmal um die Käseglocke herum. Sechzig Schritte. Der kürzeste Stadtrundgang. Er beginnt mit dem Postkartenblick auf den Zwinger und das Kronentor, man sieht ein Eckchen Schloßbaustelle mit rekonstruiertem Hausmannturm. Dann das Taschenbergpalais und der 18 Meter hohe Cholerabrunnen, Gottfried Sempers einziges gotisierendes Bauwerk. Soweit das alte Dresden.

An der Stelle der HO-Gaststätte „Freßwürfel“, auch „Am Zwinger“ genannt, stand die gotische, zweitürmige Sophienkirche. Dieses letzte mittelalterliche Baudenkmal Dresdens war dem sozialistischen Bebauungsplan im Wege und wurde bis 1963 abgetragen. Nun wartet der leerstehende „größte Dresdner Gaststättenkomplex“ auf die Abrißbirne. Die Wilsdruffer Straße ist Stadtschneise und Einkaufspromenade. Haltbare Graubuden aller Generationen und das Rudiment des Telegraphenamtes. Bäume. Eine Batterie Plattenbauten. Wiese. Schließlich, vor dem Kronentor des Zwingers, das Schauspielhaus.

Dresden im Wandel. Wohl nirgends ist er so unentschieden wie hier, wo das Statt-Reisebüro „igeltour“ seinen Spaziergang durch das neueste Dresden beginnt. Vor der Zerstörung 1945 war dieses Stadtzentrum gemischter Verwaltungs- und Wohnort. Wiederaufgebaut wurde es als weitflächiges Wohngebiet. Nun wandelt es sich erneut. Zum Büro- und Touristenviertel? Rund um den Postplatz sind die Kneipen rar, aber die Höfe üppig grün und die Wohnungen immer noch billig.

An der Freiberger Straße wird die Architekturgeschichte der wiederaufgebauten Stadt sichtbar. Die ersten Plattenbauten. Ein noch ansehnlicher Versuchsbau für die „WBS-70“, jene Betonklötze, die zum Wahrzeichen der DDR wurden. In der zweiten Reihe die Wohnviertel der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Fünfstöckige Häuser mit dem typischen Scheunendach. Deren Bausteine, gemischt aus Trümmerschutt und Zement, beweisen erstaunliche Haltbarkeit. Mittendrin ein übriggebliebener Gründerzeitbau. Eine Hälfte saniert, die andere zeitgeistig glatt überbaut.

Die Schwimmhalle mit dem Wellendach, flotter 60er-Jahre- Typ. Streng funktional das ehemalige Arbeitsamt, erdrückt von der angeklatschten Betonzeile. Hier lehrte die Bezirksparteischule der SED. Im heutigen Haus der Kultur und Bildung bleiben Zimmer ungenutzt. Das Jugendgästehaus im ehemaligen SED-Studentenwohnheim ist preiswert und zentrumsnah. Entlang der gegenüberliegenden Straßenseite, unter mächtigen Bäumen, liegt der sanierte Semperbau des Altenwohnheimes.

Schließlich das World Trade Center (WTC). Der größte, aber noch nicht der schlimmste Nachwendebau. Bis 1990 stand hier die Schokoladenfabrik „Elbflorenz“. Je nach Windrichtung rochen die umliegenden Wohngebiete heftig nach der Tagesproduktion. „Elbflorenz“ war der erste Dresdner Betrieb, den die Treuhand platt gemacht hat. Das WTC hat einen Turm, der aussieht, als ob ihm die Spitze weggeschossen worden wäre. Er sollte noch viel höher wachsen, durfte aber nicht, weil in Dresden die Türme von Schloß, Kreuzkirche und Rathaus das Maß vorgeben. Also hat die Stadt nur einen leerstehenden, halbhohen Rundturm statt eines leerstehenden, neuen Wahrzeichens.

WTC ist ein Markenname, der Zentrumsnähe verlangt, gemischte Nutzung durch Büros, Theater, Gaststätten, Hotels und einiges mehr. Der von fingerdicken Stahlseilen zusammengehaltene Glaspalast ist 27 Meter hoch und menschenleer. Nicht einmal das Schmetterlingsmobile rotiert. Bis aus dem Halbdunkel eines Wachlokals mit der Aufschrift „Information“ ein blaubehemdeter Mann mit Handy auftaucht, durch die Halle und die Glastür schreitet und das Wort an zwei Jugendliche richtet, die sich auf der schattigen Eingangsstufe niedergelassen haben. Wochenende im World Trade Center. Die beiden Jungen packen ihr Bündel und verschwinden.

Auf einer dreieckigen Brache zwischen Bahndamm, Haus der Presse (Architekturpreis der DDR 1964) und einem Gründerzeitfragment entstand das „art'otel“. Hotel, Privatgalerie und Penck-Museum. Eingerichtet vom Mailänder Stararchitekten Denis Santachiara. Vom Dach grüßt ein Penck-Standart und zeigt dem goldenen Rathausmann den Daumen und was sonst noch nach vorn absteht. Detlef Krell

„igeltour“ – Dresdens andere Stadtführung.

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