Ich erkenne einen Schwulen...

... leider fast nie. Kürzlich lernte ich einen kennen – ein blonder Kerl mit charmanten Kuhaugen –, der so ziemlich allen Klischees entspricht, die man und frau gerne mit Homos in Verbindung bringen. Er trägt sein Haar über dem goldberingten Ohr (!) akkurat geschoren, ohne den Eindruck eines penibel gestutzten Kaktus zu verbreiten; seine Hemden sind von farblicher Delikatesse und außerdem von Hand gebügelt; seine Schuhe – modern und geputzt; er duftet nach CK One, ohne den Verdacht geschlechtsloser Sterilität zu erwecken. Kurzum: eine Erscheinung, um auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen. Erst gesprächsweise fiel mir der Irrtum auf: Er war zu und zu freundlich. Völlig unzickig verstand er zu plaudern und zu scherzen. Sehr umgänglich und nett, lässig entspannt, so, wie kein Schwuler im Alltag je sich verhalten würde. Und somit bedauerlicherweise bar aller erotischer Spannung: keine chronisch gerümpfte Nase, kein ängstliches Wegschauen, nichts von einer Diva, kein Hauch von Distanz – also ein Kumpel. Ich habe mich geirrt. Ein Trauerspiel. Jan Feddersen