Rumäniens Präsident rügt die Regierung

Nach 200 Tagen im Amt hat Emil Constantinescu seine Wahlversprechungen im wesentlichen erfüllt. Doch die Minister verschleppen die Umsetzung der Wirtschaftsreformen  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Ginge es allein nach den Vertragstexten, könnten sich der rumänische Staatspräsident Emil Constantinescu und die Regierung unter Ministerpräsident Victor Ciorbea beruhigt zurücklehnen. Sie haben ihre Wahlkampfmanifeste „Jetzt für Rumänien“ und den „200-Tage-Vertrag mit Rumänien“ im wesentlichen erfüllt.

Am Donnerstag war für Constantinescu Stich- und Bilanztag. Für die Regierungskoalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen läuft die Frist in Kürze ab. Was sie sich für die ersten 200 Tage vorgenommen hatten, war zwar angesichts der Verhältnisse unter dem abgewählten neokommunistischen Staatspräsidenten Ion Iliescu nicht selbstverständlich, aber durchaus machbar: Sieben Monate nach Amtsantritt Constantinescus ist, auf dessen Versprechen und nachdrückliche Initiative hin, der Kampf gegen Korruption und Organisiertes Verbrechen erfolgreich im Gange.

Die Regierung hat, wie versprochen, Pläne entworfen und zum Teil schon umgesetzt, um die Infrastruktur und die Situation in der Landwirtschaft, dem größten Beschäftigungszweig in Rumänien, zu verbessern. Kindergeld und Renten wurden angehoben, einige Steuersätze gesenkt, staatliche Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Kultur im Vergleich zu den Vorjahren erhöht. Noch nicht ganz abgeschlossen ist dagegen die binnen 200 Tagen versprochene Landrückgabe an Privatbauern; ein Gesetz zum Verbot von Pyramidenspielen steht ebenfalls noch aus.

Dennoch strahlte der rumänische Staatspräsident am Donnerstag nachmittag keineswegs Zufriedenheit aus, als er Bilanz zog. Zwar hat Rumänien im Ausland innerhalb weniger Monate ein so gutes Ansehen erlangt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und die rumänische Außen- und Sicherheitspolitik gilt derzeit als musterhaft. Doch ob das Ziel, die tiefe Wirtschaftskrise zu überwinden, in den nächsten Jahren erreicht werden kann, ist äußerst fraglich. Rumänien erlebt zur Zeit die härtesten Wirtschaftsreformen seit dem Sturz des Diktators Ceaușescu im Dezember 1989. Eine Alternative gibt es nicht — außer der bulgarischen oder albanischen, wie Constantinescu immer wieder betont.

Für die Menschen in Rumänien hatte das Sparprogramm in den letzten Monaten ein dramatisches Sinken des Lebensstandards zur Folge. Die Unzufriedenheit wächst, die schon seit längerem andauernden Proteste der Arbeitnehmer gipfelten jüngst in einem Streik der Bergarbeiter aus dem Schiltal, die für ihre Gewalttätigkeit berüchtigt sind. Die Regierung konnte sie nur zufriedenstellen, indem sie radikale Reformen im unrentablen Bergbausektor vorerst aufschob.

Besorgt und selbstkritisch sagte Constantinescu deshalb, es sei ihm bisher nicht gelungen, mit der Gesellschaft einen Dialog zu führen, um die Notwendigkeit der Reformen zu erklären. Auch für die Regierung wollte der rumänische Staatspräsident diese Kritik verstanden wissen. Tatsächlich trägt diese dabei den größeren Teil der Verantwortung. Viele Minister haben nach knapp sieben Monaten Amtszeit entweder keine schlüssigen Reformpläne für ihren Bereich vorgelegt oder aber sie nicht mit den Sozialpartnern abgestimmt. Die Folge waren Proteste der Gewerkschaften, woraufhin die Regierung ihre Reformpläne jedesmal wieder zurückzog. Kurz: Die Wirtschaftsreformen verlaufen langsam und zäh, während die Geduld der Bevölkerung rasch abnimmt.

Auch durch ständige Streitereien unter den Koalitionspartnern wird das Ansehen der Regierung beeinträchtigt. Vertreter der Koalitionsparteien tragen Diskussionen um einzelne Gesetzesprojekte wie die Land- oder Immobilienrückgabe in der Öffentlichkeit und über die Presse aus. Gemeinsame Absprachen und Planungen scheinen nicht zu existieren, Klienteldenken und Eitelkeiten dominieren bei vielen Koalitionspolitikern.

Staatspräsident Constantinescu und Ministerpräsident Ciorbea haben in dieser Situation bisher immer wieder vermittelnd eingegriffen und das konfuse Bild, das Regierungsmitglieder und Parlament abgeben, wenigstens teilweise zurechtgerückt. Vorgestern jedoch ging Constantinescu, nachdem er seine Bilanz gezogen hatte, zum erstenmal deutlich auf Distanz zur Regierung: Er werde in Zukunft nicht zögern, unfähige Minister abzuberufen. Und wenn die Regierung keine gründlichen Reformen durchführen könne, müsse sie zurücktreten.