Von Anarchie bis Zahntechnik

■ Die Buchhandlung Kiepert feiert 100jähriges Jubiläum. Inhaber Robert Kiepert ist kein Büchernarr, sondern Geschäftsmann. Grundsatz: "Immer am Markt"

An das Jahr 1968 erinnert sich Robert Kiepert Junior mit Grauen, da glaubte er sein Geschäft in echter Gefahr. Bei den großen Demonstrationen am Ernst-Reuter- Platz sei die Buchhandlung zwar noch verschont geblieben, „wahrscheinlich weil all die Studenten bei uns ihre Bücher kauften“. Aber als dann seine MitarbeiterInnen aufmuckten, wurde er sauer. „Mit Megaphonen haben sie unsere Kunden agitiert, ihre Betriebsversammlungen im Geschäft abgehalten. Schrecklich.“ Mehr Mitbestimmung erhielten seine MitarbeiterInnen nicht, aber Marx, Lukacs und die Kritische Theorie wurden ins Sortiment genommen.

Mit klaren Grundsätzen hat der mittlerweile 68 Jahre alte Patriarch Robert Kiepert den Familienbetrieb zu der führenden Buchhandlung Berlins ausgebaut: Das Geschäft sei erstens ein Familienunternehmen, zweitens immer am Markt orientiert. „Mühe, Arbeit und Fleiß“ hätten den Buchhändler dorthin gebracht, wo er jetzt stünde, aber nicht die Liebe zu Büchern, die überläßt er seinen Abteilungsleitern. Kurz bevor die große Konkurrenz in Gestalt des Kulturkaufhauses Dussmann, der Bücherketten Thalia und Hugendubel ihre Geschäfte in Berlin aufnimmt, feiert Kiepert sein 100jähriges Jubiläum.

In nüchtern-sachlichem Ambiente erstreckt sich das Angebot an Sachbüchern von Arbeitsrecht bis Zeitgeschichte, Belletristik und Landkarten auf mehr als 5.000 Quadratmetern – in fünf Filialen. Und im Gegensatz zu den „Bücher-Warenhäusern“, betont Kiepert, hätte er vor allem auch kleine Verlage im Angebot – auch wenn diese geringere Gewinne böten.

Im Jahr 1897 von dem Laienprediger Engelhard Ostermoor als Buchhandlung der Stadtmission gegründet, übernahm Robert Kiepert Senior das Geschäft tatsächlich erst im Jahr 1912. Als Universitätsbuchhandlung mit technischem Schwerpunkt überstand Kiepert den Nationalsozialismus zunächst unbehelligt, brannte aber im Jahr 1943 nach einem Bombenangriff aus. Erst 1956 zog die Buchhandlung von ihrem Ausweichquartier wieder in die Hardenbergstraße. Zehn Jahre später, nach dem Tod des Seniors, übernahm der Junior die Buchhandlung. Seine Philosophie ist ganz einfach: „Wir haben jede Marktentwicklung mitgemacht.“

Den Lesehunger der siebziger Jahre beantwortete Kiepert mit einem eigenen Geschäft für Taschenbücher. Belletristik war noch in den sechziger Jahren kein Thema. „Nur zu Weihnachten haben wir einen Drehständer mit Bestsellern und Geschenkbänden aufgestellt, damit die Professoren ihren Gattinnen noch etwas mitbringen können.“

Bei den Fachbüchern, so scheint es, hat Kiepert jeden technischen Fortschritt mit einer Vergrößerung der Verkaufsfläche quittiert. Nach dem Bauwesen kam der Maschinenbau hinzu, später Kunststofftechnik und Atomphysik. Nach dem Mauerfall erweiterte Kiepert zu allererst seine Reiseabteilung, was den MitarbeiterInnen eine Konjunkturzulage bescherte. Heute nimmt neben der Sprachenabteilung die EDV selbstverständlich den größten Raum ein. Bei den Gesellschaftswissenschaften kann gerade noch die Zeitgeschichte mithalten.

Eigentlich wollte der Junior Tierarzt werden. Nach seinem Landwirtschaftsdiplom „bat“ ihn der Vater jedoch, später das Geschäft zu übernehmen. Nachdem die älteren Brüder gefallen waren, mußte er herhalten.

Was für Robert Kiepert recht war, soll für seine Kinder wiederum nur billig sein: „So will es die Tradition“, legte er fest. Erst als seine Kinder eine Buchhändlerlehre gemacht hatten, durften sie ihren eigenen Neigungen nachgehen. Und fügt breit grinsend hinzu: „Aber auch nicht lange.“ Thekla Dannenberg