Visa für Vietnamesen nur gegen Schmiergeld

■ Die vietnamesische Botschaft verlangt immer häufiger Schmiergeldzahlungen. Im Dunstkreis der vietnamesischen Behörden in den Ostbezirken haben sich deshalb teure "Servicebüros" etabliert, die Vis

Nam (Name geändert) studiert in Berlin. In den Semesterferien wollte er seine Verwandten in Vietnam besuchen. Der Vietnamese beantragte bei der Botschaft ein Touristenvisum. Nein, so einfach sei das nicht, erklärte der Beamte. Zuerst müsse Nam Papiere vorlegen, die bestätigen, daß er wirklich noch in Deutschland studiert. Neben der Aufenthaltsbewilligung sollte er Stipendien- und Studienbescheinigung, aber auch ein Schreiben seines Doktorvaters bringen. Dieses konnte Nam unmöglich während der Semesterferien besorgen. Er vereinbarte einen neuen Termin. Und dann ging es ganz einfach: Nam reichte noch einmal die alten Papiere sowie einen Hundertmarkschein herüber. Er bekam sein Visum sofort. Ähnliche Zustände herrschen auch in der Abteilung für Arbeitskräfteverwaltung, der Außenstelle des Hanoier Ministeriums für Arbeit, Soziales und Kriegsinvaliden. Diese Behörde kassiert ebenfalls Extragelder für Visa von ausreisewilligen Vietnamesen (taz v. 20.6.1997).

Nam weiß, wie man mit vietnamesischen Behörden – Botschaften inklusive – umgehen muß. Eine Preisliste für Bestechungsgelder liegt jedoch nirgendwo aus. Der Beamte wägt ab, wieviel der Kunde zahlen kann, und der Kunde muß schätzen, was der Beamte glaubt, wieviel er zu zahlen bereit ist. Hätten die Schätzungen nicht übereingestimmt, wäre Nam seinen Hundertmarkschein zwar losgeworden, wäre mit dem Visum aber auf den Sankt-Nimmerleins- Tag vertröstet worden. Nur ein neuer Geldschein hätte die bürokratische Maschinerie erneut in Betrieb setzen können.

Wem diese Spielchen in der vietnamesischen Botschaft zu anstrengend sind, für den gibt es Auswege. Im Dunstkreis der Botschaft haben sich in Lichtenberg und Hohenschönhausen Beratungs- und Servicebüros etabliert. Sie betreiben ganz legale Dolmetscherdienste oder Import-Export-Geschäfte. In diesen Läden liegt aber auch eine Preisliste für Visa aus. Der Preis ist höher als der in der Botschaft. Aber man kann sich darauf verlassen, daß man die Papiere in kürzester Zeit bekommt, ohne einen zusätzlichen Geldschein herüberreichen zu müssen. Auch Leute, denen aus politischen Gründen die Staatsangehörigkeit aberkannt wurde, können sich in einigen Büros Visa gegen entsprechende Zahlungen besorgen. Offiziell würden jene gar kein Visum bekommen. Vietnamesischen Behörden ist es untersagt, ihnen jedwede Papiere auszustellen. In den Büros wird auch Hilfe bei Behördengängen angeboten oder rechtsunkundigen Landsleuten geholfen, ihre Korrespondenz mit deutschen Behörden zu erledigen. Die Nachfrage unter den Vietnamesen, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, ist groß.

Scheidungsurkunden sind für 5.000 Mark zu haben. Keine gefälschten. Sie werden von Behörden in Vietnam organisiert. Wer sich von Deutschland aus von seinem in Vietnam lebenden Partner scheiden lassen will, kann auch die Verwandtschaft oder die Botschaft mit der Prozedur beauftragen. Jedoch wartet man dann zwei Jahre und ist der Behördenwillkür ausgesetzt. Schneller geht es über ein Servicebüro. Für viel Geld werden auch Eheunbedenklichkeitszeugnisse ausgestellt. Die benötigt, wer auf einem deutschen Standesamt heiraten will. „Aus der Beratungstätigkeit weiß ich, daß die vietnamesische Botschaft diese Bescheinigung Asylbewerbern verweigert“, sagt Klaus-Jürgen Dahler von der Bürgerinitiative für ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen. Es sei offizielle vietnamesische Politik, jeden Asylbewerber als Persona non grata zu behandeln. Jedoch erkläre die vietnamesische Botschaft gegenüber dem zuständigen Kammergericht, sie würde doch Eheunbedenklichkeitszeugnisse ausstellen. Das Kammergericht glaubt der Botschaft und zwingt heiratswillige Vietnamesen zur Vorlage des Papiers. Sie sind damit auf Gedeih und Verderb den „Dienstleistungsbüros“ mit ihren finanziellen Forderungen ausgeliefert.

Doch die Botschaft verfügt über ein Hinterzimmer, wo es diese Papiere gibt, weiß Dahler. Er hat mehrfach ein deutsch-vietnamesisches heiratswilliges Paar in die Botschaft begleitet. Um heiraten zu dürfen, brauchte die vietnamesische Frau eine amtliche Scheidungsurkunde. Mehr als zwölf Monate wartete sie vergebens. Dahler: „Jedesmal wenn ich mitkam, hieß es nur, die Papiere seien noch nicht eingetroffen.“ Das hält Dahler für eine Standardantwort, wenn sich Vietnamesen von ihren deutschen potentiellen Zeugen begleiten lassen. Botschaftsmitarbeiter wollen mit ihren Untertanen lieber allein sein.

Die Vietnamesin bekam das begehrte Papier dann dennoch: Sie war ganz allein in ein Nebenzimmer des Botschaftsgebäudes gebeten worden. Kein Zeuge sollte sehen können, wieviel Geld sie über den Tisch wandern ließ.

Auch Kriminelle sollen sich der dunklen Dienstleistungsbüros bedienen. Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, diese zwängen die Büromitarbeiter, gefälschte Pässe oder Führerscheine zu besorgen. Anfang 1996 war ein als Paßhändler bekannter Vietnamese ermordet worden. Der Mord an Nguyen Van Linh, der unter seinen Landsleuten den Spitznamen „Mitarbeiter der Botschaft“ hatte, ist bis heute noch nicht aufgeklärt. „Nguyen Van Linh soll sich in der letzten Zeit von diesen unsoliden Praktiken distanziert haben und wurde mit seinem Wissen gefährlich“, verrät ein Vietnamese, der anonym bleiben will. Der Student Nam hält das für unwahrscheinlich. Er habe Linh immer als geldgierig erlebt. Ein Freund Nams will wissen, daß er als lästiger Zeuge einer Geldübergabe beiseite geschafft wurde.

Vietnamesen schweigen über Bestechungspraktiken in Botschaft und Dienstleistungsbüros nicht allein aus Angst. Würden sie sich wehren, gäbe es überhaupt keine amtlichen Papiere mehr aus Hanoi. Doch die braucht man bei deutschen Behörden hin und wieder. taz