Ethnizität als Privatangelegenheit

■ Vom glücklichen Zerfall der alten Reiche: Samuel „Clash“ Huntington und Henry Louis Gates sprachen in Berlin über das Für und Wider ethnischer Grenzen

Zu einem Auftritt von Samuel Huntington zieht es viele wie in ein Kuriositätenkabinett. Schließlich ist der amerikanische Politikwissenschaftler so ziemlich der einzige Intellektuelle, der auf einer internationalen Bühne Zweifel daran äußert, daß die grundsätzliche Versöhnung aller Kulturen möglich oder auch nur wünschenswert sei. Außerdem umweht ihn ein Hauch von Kaltem Krieg, der ohnehin zur Berlin-Folklore gehört.

Huntington also war eingeladen ins Haus der Kulturen der Welt, für ihn praktisch die Höhle des Löwen, zur Abschlußveranstaltung der Diskussionsreihe „Glaube, Vernunft und Macht“ im größten Auditorium des Hauses. In einer kurzen Zusammenfassung seiner Thesen zum „Clash of Civilizations“ kam auch der Satz vor, für den er am allermeisten angegriffen worden ist: „Die Grenzen des Islam sind blutig.“ Er bleibt dabei: Ob Bosnien, Palästina, Indonesien oder Kaschmir – sie sperrten sich nicht gegen Modernisierung, aber gegen Verwestlichung und Demokratisierung. Ähnlich dem Protestantismus sei auch die Islamisierung eine Bewegung gegen die Korruption, gegen die Institutionen, für moralische Erneuerung, Disziplin, Arbeit. Die Bereitschaft zu blutigen Auseinandersetzungen sei unter islamisierten Völkern größer als bei anderen, nicht zuletzt, weil der Anteil junger, akademisch ausgebildeter Menschen besonders hoch sei, die immer zu radikaleren Umstürzen tendierten.

Die zunehmende Definition über „Kultur“ wird anderswo „Differenz“ oder „Ethnizität“ genannt und hat einen weitaus sanfteren Klang als bei Huntington. Der ebenfalls an der Harvard-Universität lehrende African-American-Studies-Professor Henry Louis Gates war am Donnerstag abend in Berlin gewesen und hatte – in Abkehr von früheren Positionen – die Ethnizität charmant lächelnd als Privatsache deklariert. Vorderhand gelte es für die Schwarzen Amerikas, nicht ihre Differenz, sondern ihre ökonomische Marginalisierung auf die Tagesordnung zu setzen, und dafür müßten sie sich weiße Bündnispartner suchen. Gefragt, wie denn sein akademisches Umfeld, das bislang ja wesentlich von Differenztheorien dominiert wurde, auf seinen Schwenk zum barschen Materialismus reagiert habe, antwortete er: „Nun, Afrikanisten wie Cornel West sehen es ähnlich; bloß die Leute von der Komparatistik haben es noch nicht so recht auf dem Radar.“ Einigen Diskussionsbeiträgen von schwarzen Deutschen war die Enttäuschung anzumerken, daß Gates sie nicht mit mehr Munition versorgte für eine Lage, die wohl nicht als ökonomisch, aber wohl als „atmosphärisch“ ausgegrenzt erlebt wird – aber sie stießen nur auf freundliches Grinsen: „In meinem Herzen bin ich zwar ein hoffnungsloser schwarzer Nationalist, aber ich gebe mich da keinen pseudowissenschaftlichen Erklärungen hin. An Rasse oder gar überlegene Rasse glaube ich nicht.“

Der Soziologe Werner Heitmeyer, der kürzlich mit einer Befragung türkischer Jugendlicher Furore gemacht hatte, die behauptet, die Bereitschaft zur Islamisierung wachse gefährlich mit der sozialen Marginalisierung, hätte Gates sicher energisch zugestimmt. Gegen Huntingtons Kulturbegriff wandte er ein, man solle endlich „Ökonomie, Politik und Religion zusammenfügen“ (gab es nicht lange und blutige Kämpfe für deren Trennung?), um so die „strukturelle Integration“ dieser Jugendlichen zu gewährleisten, andernfalls... Man möchte lieber nicht wissen, wie er sich diese Melange vorstellt. Es sei nicht Huntington, der den Clash provoziere, schon lange vor ihm hätten deutsche Politiker gegen die Integration Stimmung gemacht; er liefere ihnen nur Munition...

Den mit Abstand größten Publikumserfolg konnte die türkische Soziologin Nilüfer Göle verbuchen, die nicht nur sehr viel besser aussieht als Huntington, sondern Islam und Moderne auch nicht für Gegensätze hält, was der Stimmung im Auditorium entgegenkam, obwohl niemand von einem islamisch regierten Land zu berichten wußte, daß man wirklich vollen Herzens als demokratisch bezeichnen würde. Nicht nur sah sie die anschwellenden Betgesänge in ihrer Heimat mit erstaunlicher Gelassenheit, sie begrüßte sie sogar als ein Zeichen der Demokratisierung, ein Zeichen, daß man die sklavische Unterordnung unter den Westen aufgegeben habe. Verschleierte Frauen seien beides, ein Zeichen für die Rückbesinnung auf Tradition und ein Zeichen für gewachsenes Selbstbewußtsein. „Das Problem der Türkei ist nicht zuviel Islamisierung, sondern zuviel Verwestlichung.“ Verwestlichung und Demokratisierung dürfe man nicht so umstandslos in eins setzen, wie Huntington das tue. In diesen zum Teil eher schlichteren Ausführungen ging leider unter, was der Politologe und Philosoph Otto Kallscheuer beizusteuern hatte. Als einziger Huntington wirklich beim Wort nehmend, verglich er dessen Weltbild mit dem des 19. Jahrhunderts, in dem ebenfalls große Reiche – das österreichisch-ungarische, das preußische, das osmanische etc. – die Welt in Herrschaftssphären aufgeteilt hätten. Obwohl es damals noch sehr viel weniger internationale Verzahnung und Verwicklung gegeben habe als heute, seien all diese Reiche untergegangen. Wie also stelle sich Huntington die Hegemonie seiner fünf Kulturen vor? Als Huntington darauf passen mußte, setzte Kallscheuer noch einmal nach: Alle neuen Kulturen seien durch die Überschreitung von Grenzen entstanden: das Judentum durch den Exodus, das Christentum durch Pilger, die vor den Shopping Malls des römischen Reichs gepredigt hätten, oder der Islam durch die Hidschra. Erfinden wir die Tradition neu! Mariam Niroumand