„Keine Sau kümmert sich um uns“ Berliner Bauarbeiter streiken

■ Nachdem die Arbeitgeber im März aus dem Bundesverband ausgetreten sind, sind selbst die Tariflöhne nicht mehr sicher

Das Bier läuft gut gekühlt aus dem Zapfhahn. Männer in abgeschnittenen Jeans und blaugemusterten Karohemden sitzen an langen Tischen und dreschen Skat. Mitten auf dem Wittenbergplatz haben sie ihr rotweiß-gestreiftes Festzelt aufgestellt. Gleich neben dem Kaufhaus KaDeWe. Jeder soll sehen: Hier wird gestreikt. Hier ist das Hauptquartier der IG Bauen – Agrar – Umwelt. Gut 500 Männer hocken beieinander, schwitzen, trinken und rauchen. Ihnen geht es ums Ganze. Sie arbeiten in kleinen oder mittelgroßen Baubetrieben. Sie bangen um ihre Zukunft.

Der 17. Juni war für sie ein schwarzer Tag. Da scheiterten die Tarifverhandlungen für das Berlin-Brandenburger Baugewerbe. Die Arbeitgeber, zusammengeschlossen in der Fachgemeinschaft Bau, mochten nicht akzeptieren, was der Bundesrahmentarifvertrag nach langen Schlichtungsverhandlungen den Arbeitnehmern zusichert: das 13. Monatsgehalt, die volle Lohnfortzahlung bei Krankheit, die mäßige Lohnerhöhung um 1,3 Prozent und die neuen Vereinbarungen zum Schlechtwettergeld. Die Arbeitgeber beriefen sich dabei auf die Dauerkrise im Baugewerbe. Die Tarifverhandlungen scheiterten. Die IG BAU rief zum Streik. Der erste Ausstand in Berlin seit 1984. Rund 90 Prozent aller organisierten Kollegen stimmten dafür. An die Adresse der Arbeitgeber richteten sie die Warnung: „Es wird weh tun.“ Was auf dem Papier so kämpferisch klingt, hört sich im Streikzelt bei den Stukkateuren verhaltener an. Zwar wissen Constatin F., Stefan W. und Erich F., daß im vergangenen Jahr gut 1.000 kleinere und mittlere Baubetriebe in den Konkurs gegangen sind. „Auch mein Betrieb könnte in zwei Jahren davon betroffen sein“, sagt Constatin F. Aber wer gebe ihm denn die Garantie, daß er seinen Arbeitsplatz morgen noch habe, wenn er heute aufs Geld verzichte? Und dann rechnet er vor. Derzeit hat er einen Tariflohn von 25,76 Mark, macht im Monat etwa 3.200 netto. Für die Dreizimmerwohnung zahlt er warm 1.500 Mark. Ein Baby will versorgt werden, seine Freundin auch. „Mit dem Geld komme ich klar. Noch.“ So soll es bleiben. Aber weiß er, wieviel ihm die Steuer künftig davon wegfressen wird? Bedenkt er hierzu noch die Horrorzahl von 400.000 arbeitslosen Bauleuten in der Bundesrepublik und die Tausenden Billigarbeiter, „dann sehe ich meine Zukunft ganz, ganz schwarz“. So wird der Streik der Bauarbeiter in Berlin zu einem Kampf, den sie mit dem Rücken an der Wand führen. „Aber“, wirft Stefan W. ein, „soll ich mich dafür entschuldigen, daß ich für den jetzigen Zustand kämpfe? Soll ich sagen: Laßt die Portugiesen für zehn Mark kommen und im Container schlafen.“

Stefan und die anderen wissen, daß sie in einen schwer zu gewinnenden Streik ziehen. Sie beugen sich über ihr Bier und haben das Gefühl: „Keine Sau kümmert sich um uns.“ Ein klein wenig in explosiver Stimmung sind sie schon. Aber handgreifliche Auseinandersetzungen mit ausländischen Billigjobbern, nein, das wollen sie nicht. Trotzdem befürchten sie, daß es in den kommenden Tagen zu Auseinandersetzungen kommen kann. „Das Bier im Zelt, die Sonne, da drehen manche sicherlich auf.“ Soweit darf es nicht kommen. Deshalb patrouillieren Gewerkschafter mehrmals täglich auf den bestreikten Baustellen. Constatin, Stefan und Erich sind dabei.

Fern ab vom Wittenbergplatz sitzt Wolf Burkhard Wenkel, Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau. Auch er rechnet vor: die Konkursquote lag im letzten Jahr noch bei 20 Prozent, in diesen Monaten zeigt der Trend 25 Prozent. „Wenn die Flaute am Bau so weitergeht, haben wir in der Umgebung in vier Jahren keinen mittelständischen Betrieb mehr.“ Deswegen könne er in den Tarifverhandlungen keine Konzessionen machen. Der Bundesrahmentarifvertrag sei ein „Diktat der Westdeutschen“ und habe nichts mit den realen Begebenheiten vor Ort gemein. Wenzel denkt an weite Öffnungsklauseln für die einzelnen Betriebe und an Einkommenskorridore. Angesichts der Lage im Bauwesen gehe es nicht um Prinzipienreiterei, sagt er. In einem sind sich beide Parteien einig: Eine Eskalation des Streits wollen sie nicht. So vernünftig sind sie. Annette Rogalla