Der Pragmatiker will keine Abschiedspartie geben

■ Ohne großes Aufsehen zu erregen, erreicht Tennisprofi Michael Stich durch einen Viersatzsieg über Woodforde das Viertelfinale in Wimbledon – nun will er gewinnen

Wimbledon (taz) – Im Grunde läuft alles nach Plan. Die dicken Favoriten rangeln im Zentrum des Geschehens, auf dem Center Court und dem Court No one um die big points und das Medieninteresse. Währenddessen sich Michael Stich über die Nebenplätze ans Finale heranpirscht. Mark Woodforde war die letzte Hürde zum Viertelfinale. Ein Stolperstein, den Stich gestern mittels 25 Assen aus dem Weg räumte (6:4, 6:7, 6:3, 7:5). Auf Court No 13.

Unbeindruckt von einer Regenpause. Nebenan wurde Greg Rusedskis Erfolg über Brett Steven (3:6, 6:3, 6:4, 7:5) groß bejubelt. Doch der ist auch eine Art Brite. Stich (28) durfte immerhin baden in der leisen Zuneigung des Publikums. Und das, wo neulich zu lesen stand, der Deutsche sei der unbekannteste männliche Wimbledonsieger aller Zeiten.

Kein Problem für den pragmatischen Stich, dessen hervorragende Eigenschaft zu sein scheint, nicht mit den Dingen zu hadern. Ob es regnet: „Damit muß man in Wimbledon immer rechnen.“ Ob er sich auf grünen Hinterhöfen herumdrücken muß: „Damit muß ich mich abfinden.“ Außerdem deuten all diese widrigen Umstände in Richtung 1991. Jenes Jahr, in dem er das Finale erreichte und zur Überraschung der meisten Fachleute und Deutschen auch gewann.

Gegen Boris Becker. Überraschend war das nicht etwa, weil Stich grundsätzlich keine Chance gegen Becker hätte. Ganz und gar nicht. Wahrscheinlich ist Stich sogar der vielseitigere und komplettere Spieler. Trotzdem traute ihm niemand zu, Becker auf seinem Leib-und-Magen-Turnier zu schlagen. Und obwohl er es getan hatte, schrubbte er in der deutschen Tennisszene immer weiter auf der zweiten Geige. Trotz der Erfolge, die er zu verzeichnen hat, obwohl er freundlich und eloquent sein kann.

Er gibt als Medienereignis zu wenig her, auch im Erfolg; weil er zu wenig Identifikationsfläche bietet und zu wenig Herzblut verströmt. Weil er zu rasch die Schultern fallen läßt und abwinkt, anstatt den erkennbaren Versuch zu unternehmen, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Stich ist pragmatisch und ökonomisch. Folgerichtig ist die Planung seines Karriereendes. Kein Abschiedsgetue, allenfalls magere Gesten wie die Umarmung Jim Couriers anläßlich des letzten Wimbledonduells der beiden in Runde eins.

Über seine definitiv letzte Teilnahme am Turnier macht er kein Aufhebens. „Ich will hier keine Abschiedspartie geben, ich will gewinnen“, hat er gesagt und nach dem Sieg über Woodforde: „Und dann sehen, was der All England Club macht, wenn der Titelverteidiger das Turnier im nächsten Jahr nicht Montag um zwei eröffnet.“

Nun wird allerdings auch Stich noch einmal ins Zentrum rücken, ob er will oder nicht. Sein nächster Gegner ist entweder Wimbledon- Titelverteidiger Krajicek oder Turnier-Liebling Henman. Michael Stich ist aber auch mit Court No 13 zufrieden. Hauptsache, er gewinnt letztendlich. Albert Hefele