Ölkatastrophe vor dem Hafen von Tokio

Die Tanker-Havarie in der Bucht von Tokio war eine Frage der Zeit: Vorläufer gab es schon reichlich  ■ Von Ulrike Fokken

Schon das zweite Mal in diesem Jahr muß der japanische Küstenschutz auslaufen, um die Küste vor herannahenden Ölwellen zu schützen. 13.400 Tonnen arabisches Rohöl haben sich gestern aus den zwei leckgeschlagenen Tanks der „Diamond Grace“ in die Bucht vor Tokio ergossen. Das Öl hat sich schnell ausgebreitet: Über neun Kilometer lang und acht Kilometer breit waberte der stinkende Teppich auf dem Meer. Sechzehn Menschen in der dichtbesiedelten Bucht mit den Millionenstädten Tokio, Yokohama und Chiba wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Ihnen war von Dämpfen schlecht geworden.

Der japanische Tanker „Diamond Grace“ war in den frühen Morgenstunden auf das Nakanose- Riff in der Bucht aufgelaufen. Er war mit 257.000 Tonnen Rohöl auf dem Weg zu einer Raffinerie in Kawasaki. Völlig ungeklärt ist, warum der Kapitän bei ruhiger See und gutem Wetter in die Nähe des nur zwölf Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Riffs kommen konnte. Durch den Aufprall rissen zwei der vierzehn Tanks des einwandigen Tankers auf. Die „Diamond Grace“ war erst 1994 auf der Mitsubishi-Werft in Nagasaki vom Stapel gelaufen. Sie fährt unter Panama-Flagge für die japanische Reederei Nippon Yusen. Offiziere und Nautiker sind ebenfalls Japaner, die Mannschaft kommt von den Philippinen. Das Schiff ist mit 147.000 Bruttoregistertonnen nur mittelgroß.

Für den japanischen Bedarf holen sonst auch weit größere Schiffe – sogenannte Supertanker – Rohöl aus den Staaten am Persischen Golf. Da das Land keine eigenen Ölvorkommen hat, ist es auf die Lieferungen aus den arabischen Staaten angewiesen. Erst vor drei Jahren war ein Supertanker auf dem Weg nach Japan in der Straße von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia havariert. Die „Maersk Navigator“ löste damals eine Diskussion über die Sicherheit von Öltankern in der Region aus. Drei Monate vorher war bereits der japanische Tanker „Nagasaki Spirit“ in der Straße havariert.

Die vorhergehenden Ölkatastrophen haben die japanische Bevölkerung und Regierung bislang nicht berührt. Doch noch wirkt die Ölwelle des russischen Tankers „Nachodka“ nach. Der war im Januar 1997 in den nördlichen Gewässern Japans zerborsten. Damals hatten nur 5.000 Tonnen Öl die Küsten verklebt und Tausende Meerestiere getötet.

Diesmal ist die Menge fast dreimal so groß. Es sei eines der schlimmsten Tankerunglücke in ihren Gewässern, sagte die Küstenwache. Dafür werden diesmal nur wenige Meeresbewohner zu Schaden kommen. Die Bucht ist eine der am stärksten belasteten Meeresarme Japans. An den Ufern liegen nicht nur die Millionenstädte samt ihren Häfen, die täglich Hunderte Schiffe bedienen. An der Küste drängeln sich Unternehmen der Schwerindustrie und Raffinerien. Aufgeatmet hat Premier Hashimoto, daß nicht auch noch Atomkraftwerke ihr Kühlwasser aus der Bucht beziehen.

Er hat gestern Katastrophenalarm ausgelöst. Außerdem berief Hashimoto einen Krisenstab unter Leitung von Verkehrsminister Koga. Bis in die Nacht versuchten Küstenwache und Armee die Ölpest einzudämmen. Mit zwei Stundenkilometern trieb der Teppich auf Tokio zu.