Das vergessene Exil: Juden in Shanghai

■ Eine Ausstellung dokumentiert das Leben jüdischer Flüchtlinge in China

21. August 1947. Ein Sonderzug trifft am zerstörten Görlitzer Bahnhof ein. 295 jüdische Flüchtlinge kehren nach Deutschland zurück. Nach fast einem Jahrzehnt im Exil in Shanghai stehen sie inmitten der Trümmer Berlins, zwischen Truhen und Koffern. „Wir hätten in China bleiben können“, sagt bei ihrer Ankunft eine junge Rückkehrerin vor der Kamera der „Wochenschau“. „Aber wir haben Sehnsucht nach der Heimat gehabt.“ Anläßlich des 50. Jahrestags dieser Rückkehr eröffnet heute eine Ausstellung im Jüdischen Museum: „Leben im Wartesaal. Exil in Shanghai 1938–1947“. Mit zahlreichen Fotos, Dokumenten, Kunst- und Alltagsgegenständen zeigt sie anschaulich ein bislang fast vergessenes Kapitel deutscher Emigrantengeschichte: die Geschichte der Juden, für die nach dem Novemberpogrom 1938 Shanghai zum letzten rettenden Hafen wurde. Kurz vor Ausbruch des Weltkriegs war Shanghai der einzige Ort auf der Welt, wohin sich Juden noch ohne Visum, Kapitalnachweis oder polizeiliches Führungszeugnis flüchten konnten. Bis 1941 retten sich hierhin rund 18.000 Juden aus Deutschland, Österreich und Polen. Meist fanden sie im zerstörten Stadtteil Hongkew Unterschlupf, in umgebauten Baracken, ohne Heizung oder fließend Wasser. Shanghai war, so auch der Leiter der Jüdischen Museums, Amnon Barzel, „kein Wartesaal, in dem es sich bequem ausruhen ließ“.

Dennoch richteten sich die meisten Flüchtlinge schnell auf ihr neues Leben ein. Sie eröffneten Geschäfte, Praxen, Restaurants und Bars – Hongkew wurde zum „Klein-Wien“ von Shanghai. Es gab Zeitungen, Theater und jüdische Schulen. Nach der Besetzung des noch freien Teil Shanghais durch die Japaner gerieten die Juden zunehmend in Bedrängnis, 1943 wurden sie in ein Ghetto gepfercht, das erst nach der Kapitulation Japans im September 1945 aufgelöst wurde. Bis 1950 verließen fast alle Flüchtlinge Shanghai, die meisten zogen in die USA oder nach Palästina. Nur wenige wagten die Rückkehr nach Deutschland. Die Familie Krips gehörte zu dieser kleinen Gruppe Heimkehrer, die ein demokratisches neues Deutschland aufbauen wollten. Hermann Krips, der die Tochter des Kaufhaus-Besitzers Herzfeld heiratet, wird wenig später nach Dachau verschleppt und rettet sich schließlich 1939 nach Shanghai. Hier kommt „Baby Krips“ zur Welt, ihre Tochter, der das deutsche Konsulat den Namen verwehrt. Zu unarisch. Baby Krips bleibt namenlos, bis nach drei Monaten das Gesundheitsamt von Shanghai ihr den Namen zubilligt.

Das Schicksal der Krips ist, wie das einiger anderer Flüchtlinge, in der Ausstellung mit vielen Exponaten plastisch dargestellt: In einer kleinen Vitrine liegen Dokumente aus ihrem Leben, Zeugnisse der bürgerlichen Vorkriegszeit, der Verfolgung, des Exils. Ein roter Handschuh, Fotos mit zwei lächelnden Schwestern, eine Karte mit dem Poststempel Dachau. Und ein Dokument vom Shanghai Municipal Council über „Baby Krips“, geboren am 26. Oktober 1939 in Shanghai.

Auf einem Symposium vom 20. bis 22. August wird Sonja Mühlberger, geborene Krips, Näheres zu ihrer Familiengeschichte erzählen. Gemeinsam mit anderen überlebenden Flüchtlingen berichtet sie über ihr Leben in Shanghai und die Gründe für die Rückkehr nach Deutschland. Parallel zur Ausstellung laufen von Mitte bis Ende Juli Filme zum Thema Shanghai im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus. Die Ausstellung selbst ist vom 4. Juli bis zum 24. August im den Räumen des Jüdischen Museums im Martin-Gropius-Bau von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Gudula Hörr