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: Ein Leben ohne Trieb

„Die Kastrations-Kur“, Mittwoch, 23.05 Uhr, N3

„Ich bin geheilt!“ wimmert der Triebtäter Alex in „Uhrwerk Orange“, nachdem er durch ein Serum willenlos und damit zum Opfer seiner früheren Opfer gemacht wurde. Was in Stanley Kubricks Anklage gegen die Medizin in einem totalitären System 1971 noch Science-fiction war, gehört in Dänemark seit 1988 zum Alltag des Strafvollzugs.

In ihrer Dokumentation „Die Kastrations-Kur“ besuchte Gertraudt Jepsen einen Kopenhagener Vorzeigeknast. Drei Gefangene werden dabei porträtiert. Einer akzeptiert den Handel „Kastration gegen Freiheit“ und wird demnächst entlassen. „Das eine Präparat“, sagt er, „nimmt dir die Lust am Sex und deine Sexphantasien. Das zweite macht, daß du keine Kinder bekommen kannst.“

Ein anderer Sexualstraftäter verweigert sich dieser Zuchtauswahl. Der Grönländer Johannes Josephson ist der Meinung, daß die chemische Kastration nicht für alle Sextäter gleichermaßen geeignet ist, und kanalisiert seinen Trieb lieber durch harte Arbeit oder einfach durch altmodisches Joggen. Damit fällt er allerdings bei der Anstaltspsychiaterin Heidi Hansen in Ungnade, die schon dreißig Kerben in ihrem chemischen Colt hat. Sie weiß zwar, daß sie „nicht heilt“, sondern nur „Symtome behandelt“. Aber sie schwört auf die Kastration, denn keiner ihrer 30 entlassenen Jungs sei rückfällig geworden: Ein „Geschlechtstrieb kann so pervertiert sein, daß man ihn entfernen muß“, erklärt die Psychiaterin, als würde sie über den Austausch der Festplatte eines Computers reden, der immer abstürzt.

Ihre Aussage wirft die zentrale Frage auf, die der Film indes nicht einmal stellt: Denn das eigentlich Interessante an einer Dokumentation über die „Kastrations-Kur“ ist doch nicht die Situation der Triebtäter im Gefängnis. Entscheidend für die ethische Bewertung der Methode ist die Betrachtung ihres Lebens außerhalb. Wie geht es den Jungs, die sich die Hormone wegspritzen lassen?

Doch Gertraudt Jepsen fragt nicht danach, wie es den 30 dänischen Chemokastraten geht und inwiefern das Leben nach dem Trieb für sie überhaupt noch lebenswert ist. Statt mit chemisch Resozialisierten zu sprechen, zeigt der Film ausführlich Bilder von der vermeintlichen Humanität dänischen Strafvollzugs. Das ist zwar nicht ganz uninteressant, verfehlt aber das Thema. Manfred Riepe