: „Es wächst eine innere Abschiebementalität“
■ Lübecks Bischof Karl Ludwig Kohlwage zu Hakenkreuzschmierereien und Kirchenasyl
taz: Warum hassen Rechtsradikale die Kirchen?
Karl Ludwig Kohlwage: Es sind ja nicht nur die Kirchen; Günter Grass' Bürotür ist ja auch schon beschmiert worden. Daß es uns oft trifft, hängt wohl damit zusammen, daß wir in Not Geratenen Kirchenasyl gewähren, aber auch mit unserer kritischen Haltung zur Ausländerpolitik.
Haben Sie nach den Anschlägen nur Solidarität erfahren?
Mehrfach sind wir in Briefen und Anrufen gefragt worden, ob es denn richtig sei, wie die Kirche sich in der Ausländerfrage verhält. Es hieß, wenn wir uns um unsere ausländischen Mitbürger nicht so sorgen würden, wäre doch alles ruhig.
Haben Sie sich diese Ratschläge zu Herzen genommen?
Natürlich nicht. So werden aus Opfern Täter gemacht.
Was steht im kirchlichen Wort zu Migration und Flucht, das heute veröffentlicht wird?
Wir werden das geänderte Asylrecht kritisieren und für Integration sorgen. Es gilt, eine Stimmung im Lande zu benennen, die Haß, Angst und Gewalt fördert.
Die politische Klasse tut immer noch so, als wäre die Bundesrepublik kein Einwanderungsland.
Ein Irrtum. Ausländer sind nicht als Problem zu behandeln: Sie leben hier. Deutschland wird niemals „ausländerfrei“. Wir müssen uns um ein vernünftiges und tolerantes Verhältnis zu ihnen bemühen. Das wird auch das Staatsbürgerrecht berühren.
Ministerpräsidentin Heide Simonis hat zu Zivilcourage aufgerufen. Wie soll die aussehen?
Eine beispielhafte Geschichte: Ein Mann will in einem Blumenladen seinen Strauß nicht aus der Hand einer türkischen Floristin nehmen. Da hat die Inhaberin gesagt: „Dann bekommen Sie hier überhaupt nichts.“
Finden Sie das vorbildlich?
Natürlich. Was nützen unsere hehren Worten, wenn sie im Alltag nicht zählen? Dort sind die schlimmen Auswirkungen der Asylrechtsänderung spürbar.
Welche meinen Sie?
Vor allem die gleichgültige bis feindliche Mentalität Asylbewerbern gegenüber. Nach der Drittstaatenregelung dürften sie alle grundsätzlich nicht hier sein. Deshalb ist die erste Frage, die man ihnen stellt, die nach ihrem Weg, nicht nach ihrem Schicksal.
Sie sind unerwünscht.
Mehr noch: Nach meinem Eindruck wächst hier eine innere Abschiebementalität. Das Asylrecht ist eine Konsequenz aus den Erfahrungen der bösen Zeit zwischen 1933 und 1945. Dieses Vermächtnis darf nicht verraten werden.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, hieß es noch uneingeschränkt im Grundgesetz bis 1993.
So heißt es auch heute noch, aber der persönliche Geltungsbereich ist drastisch eingeschränkt worden. Hinzu kommt die verbreitete Mentalität: Laßt uns in Ruhe, heißt es, wir haben genug eigene Probleme. Das Klima wird gleichgültiger. Dagegen anzugehen, ein gutes Wort einzulegen für Menschen, die Zuflucht suchen, halte ich für eine zentrale Aufgabe aller. Interview: Jan Feddersen
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