Comeback in Zeitlupe

Kroatiens Strände bleiben auch in der Hauptsaison leer, weil viele Touristen noch immer die Kriegsbilder im Kopf pflegen. Per Autofähre läßt sich entspannt von Dubrovnik bis Rijeka reisen  ■ Von Soca M.

Mit seiner historischen Altstadt zählt Dubrovnik, ganz im Süden Kroatiens, nach wie vor zu den schönsten Adriastädten überhaupt. Mediterranes Flair, Sonne, eine leichte Meeresbrise, weder stinkende Autos noch Hektik. Trotz des Krieges hat die Stadt von ihrem ursprünglichen Charme nichts verloren. Als im September 91 über 2.000 Bomben und Granaten in die Renaissancemauern krachten, empörte sich die Weltöffentlichkeit. Das war dann doch zu viel des Guten und bewegte die Gemüter diesseits der Alpen fast mehr als jedes neue Massengrab.

Die Einwohner haben die Fensterscheiben längst gewechselt, Dächer neu gedeckt und Kulturgut fachgerecht saniert. Organisationen wie die Unesco butterten ordentlich harte Dollars ins Weltkulturerbe. Auch die Bauern spuckten in die Hände und päppelten neue „Dubrovas“ – Eichen – am Stadtrand auf. In jenen Spätsommertagen vor sechs Jahren fackelten bosnische Kampfjets russischer Bauart den gesamten Stadtwald gleich mit ab.

Wer Dubrovnik besucht und nicht auf der alten Stadtmauer spazierengeht, der war eigentlich nicht wirklich da, sagen die Einwohner. Recht haben sie! Der phantastische Ausblick auf Gassen und Häuser belebt mehr als nur den Orientierungssinn. Spaziergänger haben die Altstadt in einer Stunde gemütlich umrundet und das bunte Treiben zu ihren Füßen aus jeder Perspektive beäugt.

Diejenigen, die das Nachtleben spannender finden, sollten durch die „Bourbon Street“ tigern. Eine Bar reiht sich an die andere. Möchtegern-Don-Johnsons tragen dort auch im Dunklen eine Ray Ban und wollen mit PS-starken deutschen Autos samt quietschenden Breitreifen die Schönen der Nacht beeindrucken. Wie überall gilt auch hier: Eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zieht eine Neuordnung der Wertmaßstäbe nach sich. Für viele scheint Geld und Prestige das Maß aller Dinge geworden zu sein.

Obwohl Bares knapp ist, tragen viele Jugendliche Klamotten nach dem letzten Schrei. Und Plateauschuhe – versteht sich. Katarina (23) erzählt: „Da, wo's die Markenfummel gibt, da mußt du ganz schön abdrücken. Für ein paar Levi's, Boots und 'nen schicken Sweaty legst du glatt deinen Monatslohn hin. Vorausgesetzt, du hast 'nen Job. Also kaufen wir Stoff und nähen selbst. That's Croatian lifestyle!“ Wenn kroatische Rockmusik aus den Boxen schrillt, bekommt Katarina glänzende Augen. „Natürlich läuft hier auch Techno, House und all das, aber über unsere Musik geht einfach nichts. Leider verkauft sich das nicht im Ausland. Aber dafür unsere Filme! Immerhin haben wir einen Oscarpreisträger. Leute wie Emir Kosturica sind wichtig für unsere Identität.“

In der Discothek „Sun City“ in Downtown ist man mit 30 bereits jenseits von Gut und Böse. Trotzdem gibt es hier die beste Möglichkeit zu tanzen. Wer es gesetzter mag, schwoft gleich in seinem Hotel. Erstes Haus am Platz ist das „Excelsior“ mit dem Charme eines Betonklotzes. Dafür beste Strandlage, guter Service und nur fünf Minuten zur Altstadt. Geheimtip für Individualisten: die Künstlerkneipe Troubadour, witzig eingerichtet und urgemütlich. Hier läuft feinster Südstaaten-Jazz aus den Fünfzigern. Bette Midler hat hier schon gezecht und dann auch noch gesungen. Die Fotos an den Wänden liefern ein lebendiges Zeugnis von wüsten Gelagen.

Wer als Biker oder Autofahrer die abenteuerliche Küstenstraße zwischen Rijeka und Dubrovnik kennen, lieben und hassen gelernt hat, kann sich vorstellen, daß eine Schiffspassage die erholsame Alternative ist. Die Autofähre „Dubrovnik“ pendelt zwischen Igomenitza/Griechenland und Rijeka. Zwischenstationen sind Dubrovnik, die Inseln Brac (die Dicke), Corcula (die Kleine), Hvar (die Lange), die dalmatinische Hauptstadt Split und Zadar in Istrien.

Die „Dubrovnik“ ist das Flaggschiff der kroatischen Flotte. Die letzten neunzehn Jahre schipperte es auf dem Ärmelkanal. Die Kabinen sind eng und nicht gerade eine Augenweide, erfüllen jedoch ihren Zweck. Nach vier Stunden Sonnenbaden an Deck ankert die Fähre im Hafenstädtchen Corcula auf der gleichnamigen Insel. Marco Polo, Weltenbummler und Reiseschriftsteller, erblickte hier im Jahre 1254 das Licht der Welt. Mit 19 Jahren kehrte er der „Kleinen“ den Rücken und zog in die große weite Welt gen Osten. Im malerischen Ort steht das Geburtshaus, heute ein Minimuseum. Die Insulaner bauten ihre Häuser im Mittelalter in Form einer Fischgräte. Die originellen Bauten sind noch gut erhalten. Außerhalb des Ortes bedeckt Wald das gesamte Inselareal. Noch heute zimmern die Bewohner größere Schiffe aus Holz, ein Luxus im sonst waldarmen Mittelmeerraum.

Binnen zwei Stunden hat der Inselhüpfer die Schwestergemeinde Hvar erreicht. Die Einheimischen nennen sie liebevoll die Lavendel- Insel. Und tatsächlich: Der herb- schöne Geruch ist allgegenwärtig. Die lila Blüten hüllen ganze Berghänge in ein pittoreskes Kostüm. Laut Wetterfröschen ist Hvar das sonnigste Fleckchen Erde der gesamten Adria. Früher galt die Insel als reichste Kommune im venezianischen Dalmatien. Neben einer obligatorischen Festungsanlage, in diesem Fall das Fort Spanjol, hat die Insel auch ein Theater. Der Komödientempel ist das älteste Kommunaltheater des Alten Kontinents. Insulaner und Gäste mimten hier, daß sich die Balken bogen. Und daran hat sich seit 1612 nicht viel geändert. Im Gegensatz zu früher dürfen heute auch Frauen auf die Bühne.

Die Fahrt ans Festland, vorbei an der Insel Brac, dauert abermals zwei Stunden. Die Hafenstadt Split bietet dalmatinische Vergangenheit satt. Über 1.700 Jahre hat sie auf dem Buckel. Im letzten Krieg ging hier nicht eine Bombe runter. Die Altstadt mit dem Kaiserpalast (drittes Jahrhundert) des Römers Diokletian hat Flair. Dank des kaiserlichen Altersruhesitzes freuen sich auch die Splicani über den gewinnbringenden Eintrag in der Unesco-Liste als Weltkulturerbe. Niedliche Gassen mit Boutiquen und Straßencafés laden zum Bummeln ein. Cineasten finden einige Kinos. Nur das Filmangebot ist nicht gerade vielfältig. „101 Dalmatiner“ auf jeder Leinwand. Na ja, die schwarzweißen Vierbeiner stammen ja schließlich aus der Gegend.

Die Zerstörungen aus jüngster Vergangenheit sind gering. Nicht jedoch die menschlichen Tragödien. Wenn die 52jährige Mirjana Radica erzählt, schwingt Verbitterung in der Stimme.“ Ich habe einen Sohn verloren. Gerade 27 Jahre alt. Seine Frau wurde vergewaltigt, die Kerle waren unsere Nachbarn, vier Häuser weiter. Und die leben jetzt ungestraft in Bosnien. Meine Schwiegertochter ist in einer Anstalt. Seit dem Tag, als das passiert ist, redet sie nicht mehr. Ich habe ihre beiden Mädchen, sieben und vier. Wie ich die durchbringe, danach fragt keiner. Jetzt kommen auch noch die Exilkroaten zurück. Das sind die Schlimmsten. Wir haben unsere Heimat verteidigt und uns um ihre Häuser gekümmert. Und die haben in aller Ruhe einen Haufen Geld verdient und machen jetzt die Geschäfte.

Die offizielle Version der Regierung hört sich dagegen ganz anders an: Der Rückkehrer sei der wahre (und kluge) Patriot, der jetzt sein Geld investiert, um die Heimat wiederaufzubauen...

Trotz aller Schwierigkeiten haben die Bewohner ihren Stolz nicht verloren. So hält auch Reiseleiter Miroslav Milesć (60) aus Split nach wie vor viel von seinem Land: „Wir haben Stalin die Stirn geboten, genau wie den Amerikanern. Und was die meisten gar nicht wissen: Männer auf der ganzen Welt tragen kroatische Kultur am Herzen. Die Krawatte haben nämlich wir erfunden.“ Und tatsächlich: Im Dreißigjährigen Krieg gehörte ein bemaltes Tuch mit Knoten zur kroatischen Uniform. Die Pariser fanden das ultrachic, „la Croatte“ kam groß in Mode. Kurze Zeit später nannten die Franzosen das Tuch „Crovate“, dann „Cravate“.

Literaturtips:

Lore Marr-Bieger: „Kroatische Inseln und Küste“, Michael Müller Verlag, Erlangen 1997, 39,80 DM

„Istrien/Dalmatinische Küste“,

Karl Baedeker Verlag, Ostfildern 1997, 39,80 DM

„Merian live! Istrien entdecken und erleben“, Verlag Gräfe und Unzer, München 1995, 12,80 DM