Überholspur nach Westen

■ „Sie können auch anders“ – Eine Reportage über karriereähnliche Biographien junger Ossis (So., 23 Uhr, N 3)

In der Kulisse tobt ein junges Mädchen, daneben steht einer, der irgendwie aussieht wie Klausi Beimer. Katja und Alexander drehen für eine Folge von „Verbotene Liebe“, die tägliche ARD-Seifenoper. In der sind sie nämlich die „Quoten-Ossis“, weil die Marktforscher drauf gekommen sind, daß man welche braucht.

Die Berliner Filmemacher Attila Weidemann und Alex Kühne sind Katja und Alexander mit der Kamera aus der südöstlichsten Ecke der Republik bis nach Köln- Bocklemünd gefolgt – ins westlichste der deutschen Fernsehmekkas. Katja aus dem 13.000-Seelen-Nest Olberhau „im hintersten Erzgebirge“, einen Steinwurf vor der tschechischen Grenze, ist gerade 21, gelernte Bauzeichnerin, aber ohne Job. Bis eine Freundin von ihr im Wohnzimmer ein Home-Video drehte und an die Casting- Agentur schickte.

Dort mochte man auch Alexander, das Platten-Kind aus Chemnitz, 20, mit Abitur, aber ohne Beruf. Als anerkannter Sprayer in diesem größten „Arbeiter-Schließfach“ der einstigen DDR kann er aber so manches Piece auf tristen Wänden vorweisen. Und eine Reproduktion für das Cover des örtlichen Telefonbuches. Fühlt er sich nun, da er bei der Teenie-Soap „Verbotene Liebe“ mitchargieren darf, als „Glückspilz“? „Nein“, sagt Alexander im Interview, „ich habe nicht Glück gehabt, ich habe es mir geholt.“

Selbst in Bewegung gesetzt haben sich auch die beiden anderen Jugendlichen, die die Autoren vor die Kamera holten: Daniella aus Erfurt, die in Berlin Modedesign studiert, nebenher als Kellnerin in einer Kneipe jobbt und auch als Model gefragt ist. Und Daniel, der in Frankfurt (Oder) schon HipHop hörte, als die Mauer noch dicht war. Mit 18 veranstaltete er Technopartys, zu denen bald 2.000 Leute kamen, gründete Clubs und gibt inzwischen ein eigenes Szeneblatt heraus, „weil's hier ja nichts gab“. Doch leicht macht es ihm Frankfurt (Oder) nicht.

Der Film zeigt laut Pressetext, „daß es neben Lehrstellenmangel und Rechtsradikalismus noch anderes über die ostdeutsche Jugend zu berichten gibt“. Fragt sich nur, warum das so selten gemacht wird? Und warum diese ORB-Produktion aus dem letzten Jahr beim NDR im Sommerloch landet anstatt im Ersten, wenn alle gucken.

Natürlich ist der Film streckenweise auch Gesundbeterei. Denn die Protagonisten sind nun gewiß nicht „die ostdeutsche Jugend“, sondern eher vier außergewöhnliche, kreative Typen. Und besonders wichtig: Sie fotografierten sich halt gut. So versuchen Weidemann und Kühne, unverkennbar als Trendfilmer ambitioniert, ihrem Feature durch einen Haufen Clip- Elemente, Schnitt- und Trickspielereien auch formal eine Fit-for-future-Botschaft beizubringen – was den jungen Interviewpartnern ein erhöhtes Maß an Kooperation abverlangte. Neben der erwünschten „Think positive“-Ausstrahlung verbreiten sie dabei trotzdem auch eine zweite Message, die eher unbeabsichtigt scheint, aber um so ernüchternder ist: Im Osten sind Jugendliche „auf der Überholspur“. Klaro. Ein paar. Und wenn man sie denn läßt. Aber die führt, früher oder später, notgedrungen nach Westen. Ulla Küspert