Im Verzehrkonzert

■ „Sommer in Lesmona“: Die traditionellen Wolkenbrüche fehlten beim Open-Air-Konzert der Kammerphilharmonie

Frau G. ist schon zufrieden. Sie hat sie gesehen: die endlose Schlange Wohlsituierter, die – mit Decke unterm Arm, in der einen Hand den Picknick-Korb oder die Kühltasche, in der anderen der Klappstuhl – die Lesumer Straße Auf dem Hohen Ufer hinabzieht, vom fernab geparkten Auto zum Eingang des komplett umzäunten Knoops Park. „Wie auf der Flucht“, sagt Frau G. gerührt und könnte schon wieder nach Hause fahren. Aber wer ist so konsequent? Mit vierzig Mark ist man dabei, beim „Sommer in Lesmona“, dem „Klassik-Sommer-Freiluft-Vergnügen mit der Kammerphilharmonie Bremen“. Und es soll ja auch lecker zu essen geben.

Eine Lichtung, umstellt von altem Baumbestand, gemähter Rasen, eine überdachte Bühne. Vor der Bühne Klappstühle, mitgebracht oder gemietet für'n Heiermann. In der ersten Reihe Frau S. Damit sich niemand vor ihre Nase setzt, hat sie eine Regenhose ausgebreitet. Drei Reihen dahinter ruft es „Hallo, Ina!“Ina hält ihren Großfamilienschirm hoch und lacht. „Brauchste heute nich', Ina!“Alle, die das gehört haben, blicken zum Himmel. Keine Wolke. Das Subthema des Abends ist nämlich das Wetter. Die meisten, die hier sitzen, waren die beiden letzten Jahre auch dabei, und da ist man ja jedesmal beinahe weggeschwommen, so hat es geplätschert. Das wird mit einer gewissen Begeisterung jedem Neuling erzählt. Ina: „Eben hat es in Pennigbüttel ganz doll geschüttet.“

Hinter den Klappstühlen fängt eine andere Welt an. Die Welt der Deckenlieger. Deckenlieger verachten Klappstuhlsitzer und sagen: Klappstuhlsitzer haben nix kapiert. Nix von Open-Air-Klassik, E-Musik-Picknick, Verzehrkonzert. Warm muß es sein, ein Windchen wehen, irgendwo muß exquisite Musik orgeln, man muß auf Decken rumlümmeln, rauchen und quatschen und roten Sauvignon trinken. So muß das sein!

Huhu! Da ist ja Frau S. von P.! Was machen die Kinder? Frau S. von P. hat eine original britische Picknick-Decke, unten gummiert, „du glaubst ja nicht, was die gekostet hat.“

Frau G. hat sich einen Picknick-Doppelkorb für zwei gekauft. 42 Mark, nicht von schlechten Eltern! Wein drin, ein Küchlein und ein Haufen klebriger Sandwiches. Plus Serviette mit Freiheitsstatue. Ach so, das ist ja ein Mottoabend: Neue Welt. Darum ißt man im Cateringzelt vom Hotel zur Post („Unser Gourmet-Restaurant ist Michelin-besternt“) amerikanische Steaks. Ein Außenstehender müßte den Eindruck haben, daß die Menschen hier drei Tage lang gehungert haben. Selbst Herr G. von der Kulturbehörde, bekannt und geschätzt aufgrund seiner Leibesfülle, wirkt fast abgemagert. Es wird gefuttert, was die Kühltaschen hergeben. Am Rand der Lichtung haben mehrere Leute Zelte und die unverzichtbaren Party-Pavillons errichtet, als wollten sie ab sofort hier leben.

Und die Kammerphilharmonie spielt tatsächlich exquisit, so daß wieder nicht das hübsche Wortspiel „Jammerphilharmonie“zum Einsatz kommen kann. Und Frau Alsop? Die von allen Zeitungen dieser Welt immer nur gefragt wird, wie das sei, als Frau zu dirigieren? Wenn man die Augen zumacht, merkt man gar nicht, daß eine Frau dirigiert. Aber man hört dann plötzlich Amseln, die amerikanische Klassik zu mögen scheinen. Das Publikum auf seinen Klappstühlen und Picknickdecken steht nicht so drauf, aber es ist ja nun mal ein Mottoabend. Richtigen, also mehr als höflichen Beifall gibt es:

– als der Securitas-Ballon über den Platz schwebt,

– als „The Unanswered Question“von Charles Ives (1874-1954) gegeben wird und ein weit weg im Wald positionierter Trompeter immer wieder etwas spielt, das sich anhört wie Edgar, wo bist du?, worauf ein Getöse antwortet,

– als man am Ende Schostakowitschs Klavierkonzert Nr.1 spielt (denn bei Dimitri werden sogar die Fledermäuse von Knoops Park wach) und dann noch der blonde Klaviervirtuose Stephen Prutsman einen schmissigen Jazz als einzige Zugabe darbietet.

„Jetzt kommt der Film. Den nehmen wir noch mit.“– „Klar, Ina. Wer will noch Käse?“Dunkel genug ist es mittlerweile für den Film Sommer in Lesmona auf Großleinwand. Mit unser aller Katja Riemann. Keine Lüge: Glühwürmchen schweben über der Szene. Es ist jetzt lausig kalt. Doch die Leute sind's zufrieden. Das einzige, was dem Abend fehlte: der Gewitterguß. Musik muß gegen Wolkenbrüche kämpfen, gegen Blitz und Donner, einstürzende Zeltbauten, jawoll. Erst dann verdient ein Orchester den Ehrentitel Bremer „Hammerphilharmonie“.

Burkhard Straßmann