Türkische Junkies verlieren ihren Helfer

■ Amt für soziale Dienste kündigt dem einzigen ausländischen Drogenberater des Kontakt- und Beratungszentrum im Tivoli-Hochhaus / Türkische Junkies künftig ohne Ansprechpartner

Als Murat B. vor 20 Jahren nach Bremen kam und durch das Steintorviertel lief, fand der Türke den Anblick der Junkies erschreckend. Jetzt ist er 50 Jahre alt und selbst einer. Er weiß nicht mehr, wie das kam. „Erst lief alles ganz gut mit der Arbeit und einer ganz lieben Frau“, doch dann kam die Scheidung. „Ich habe alles verloren. Mein Gedächtnis. Meine Gesundheit. Mein Herz“, sagt Murat B. Der türkische Sozialarbeiter Ali Kozulcali war der einzige, der ihm half, vom Heroin auf Methadon umzusteigen. Deutsche Drogenberater hatten ihn wegen des Alters und der geringen Sprachkenntnisse schon aufgegeben. Am vergangenen Freitag saß Murat B. im Café vom „Kontakt- und Beratungszentrum Tivoli“und war ratlos. Es ist der letzte Arbeitstag seines Drogenberaters Ali.

Der auf Ende Juli befristete Vertrag des einzigen ausländischen Drogenberaters in Bremen läuft aus und wurde bislang nicht verlängert. „Damit fällt die gesamte Drogenarbeit mit Migranten im Lande den Sparmaßnahmen zum Opfer“, bedauert Burckhard Radtke, Personalrat im Amt für soziale Dienste.

Seine halbe Stelle hat Kozulcali zwei KollegInnen zu verdanken, die vor zwei Jahren jeweils 10 Stunden reduziert hatten. Jetzt sollen die 20 Stunden eingespart werden. Zwei Betroffene haben einen verzweifelten Brief an die zuständige Senatorin Christine Wischer (SPD) geschrieben. „Wenn Ali geht, wissen wir nicht, an wen wir uns wenden sollten.“

Der Landesverband für humane Drogenpolitik, „akzept e.V.“, bezeichnete die Kündigung als einen Rausschmiß der migrantischen DrogenkonsumentInnen aus der Drogenhilfe. „Ohne Kenntnisse der kulturellen Hintergründe ist eine Integration von MigrantInnen im vorhandenen Hilfe- und Präventionssystem kaum möglich“, so Vorstandsmitglied Georg Kurz.

Seit Ali Kozulcali vor zwei Jahren angefangen hat, ist im Tivoli-Hochhaus die Zahl der ausländischen Ratsuchenden um rund 10 Prozent gestiegen. 34 von ihnen betreut der türkische Sozialarbeiter derzeit laufend. In der offenen Szene ist er zu einer Art Beichtvater-Figur geworden. Wenn Kozulcali einkaufen geht, wird er oft von türkischen Eltern angesprochen, die süchtige Kinder haben. Für sie hat er einen Verein gegründet. „Sie empfinden die Drogenabhängigkeit ihrer Kinder als schwere Schande. Oft sperren sie sie ein, oder sie schicken sie in die Türkei zum Militär, mit der Hoffnung, daß sie da clean herauskommen.“Daß das nicht funktioniert, ist den meisten bewußt, aber „Hauptsache sie sind irgendwo aufgehoben.“

Duch Flugblätter und Seminare versucht Kozulcali, das Tabu Drogenabhängigkeit bei den ausländischen Familien als gesellschaftliche „Normalität“begreifen zu lassen. Jetzt muß er seine Arbeit abbrechen.

„Das ist eine Schande“, sagt der türkische Junkie Murat B., der sich durch das Methadon inzwischen besser fühlt und wieder auf Arbeitssuche gehen möchte. Aber er weiß, daß ihn seine Kräfte schnell verlassen und er sofort als Junkie erkannt wird. „Das macht mir Komplexe“, sagt Murat B., „aber Ali hilft mir.“

Ob das noch möglich ist, entscheidet die Politik. Doch die läßt sich damit Zeit. „Wir bemühen uns, eine Lösung zu finden“, vertröstet Hans-Christoph Hoppensack, Staatsrat im Gesundheitsressort. Ali Kozulcali mußte heute morgen schon mal seinen Resturlaub antreten. llg