Den Königsweg beschreiten

■ Gespräch mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin, Andreas Nachama, über die zukünftige Konzeption des jüdischen Museums, die Bedeutung des Libeskind-Baus und den Streit nach der Entlassung des Museumsl

taz: Herr Nachama, inzwischen scheint man allenthalben davon auszugehen, daß der geschaßte Amnon Barzel als Leiter des jüdischen Museums nicht mehr zu retten ist...

Andreas Nachama: Das Frappierende an der aktuellen Lage ist, daß sich nun herausstellt: Mit der Entlassung von Barzel ist nichts gewonnen. Es bleibt alles beim alten. Wenn überhaupt, ist alles schwieriger geworden. Jetzt haben diejenigen, die mit Barzel im Clinch gelegen haben – also insbesondere Herr Güntzer, der Leiter des Stadtmuseums –, freie Bahn. Wenn es dabei bleibt, ist eine Situation von Sieg und Niederlage hergestellt, in der niemand arbeiten kann.

Ein Problem in der Auseinandersetzung mit Barzel war doch, daß er den Eindruck vermittelte, die Judaica seien ihm eigentlich herzlich egal, die Stadtgeschichte eigentlich zu popelig, er sei mehr an moderner Kunst und großer Geste interessiert. Das paßte doch von Anfang an nicht zusammen.

Man muß nun unbedingt auseinanderhalten: Es gibt die permanente Ausstellung, und es gibt Wechselausstellungen. Niemand, auch Barzel nicht, hat etwas dagegen, in einer Dauerausstellung Berliner Geschichte zu zeigen. Nach meiner Einschätzung ist aber die für die Wechselausstellungen vorgesehene Fläche etwas zu knapp bemessen. Themen wie „Die Bindung Isaacs“ in der Kunstgeschichte oder „Jüdische Lebenswelten II“ oder andere kulturgeschichtliche Themen aus der abendländischen Geschichte, wo Judentum und Christentum einander gegenübertreten, müssen möglich sein, und es muß auch möglich sein, alle vier, fünf Jahre das ganze Haus leerzuräumen und alles zu bespielen. Das war im Berlin-Museum beispielsweise mit der großen Ausstellung zur Synagogenarchitektur 1983 ja auch möglich.

Von Senatsseite wird der Vorwurf, man wolle die Autonomie eines jüdischen Museums untergraben, energisch zurückgewiesen. Da scheint es um uralte Fragen zur jüdischen Assimilation zu gehen. Güntzer beispielsweise beruft sich auf Heinz Galinski, den verstorbenen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, der gesagt habe, eine Ghettoisierung dürfe sich nicht wiederholen, jüdische Geschichte müsse immer Teil der Berliner Geschichte sein. Haben Sie den Eindruck, in dem Konflikt drückt sich auch ein gewachsenes Selbstbewußtsein der Gemeinde aus, die jetzt eher auf ihrer Partikularität besteht?

Ich habe den Eindruck, da wird Heinz Galinski falsch in Anspruch genommen. Worum es ihm ging, war eben wirklich nur, daß die jüdische Geschichte nicht aus der allgemeinen herauskatapultiert wird. Da er kein Museumsmann war, konnte er Erfahrungen nicht im Blick haben, wie man sie beispielsweise bei der Preußen-Ausstellung machen konnte. Da gab es auch schon das „integrative Konzept“. Eine Szene im Raum zu 1848 war Johann Jacoby aus Königsberg gewidmet, der vier Fragen an den preußischen König stellt. Niemand sieht, daß Jacoby ein Mitglied der Königsberger Jüdischen Gemeinde war. Das ist in dem Zusammenhang auch vollkommen sekundär. Aber wenn man die jüdische Geschichte in Preußen reflektieren wollte, müßte man dann da einen gelben Stern ranhängen – oder wie soll das gehen? Das ist die Crux des integrativen Modells; man muß es dann doch wieder in einer jüdischen Unterabteilung zusammenhalten, damit dem Besucher klar wird, wer hier die Fragen stellt.

Ein weiteres Argument des Generaldirektors Güntzer ist, es gäbe doch bereits das Centrum Judaicum, in dem explizit jüdische Ausstellungen stattfinden könnten. Im Deutschen Historischen Museum (DHM) dagegen und eben im Berlin-Museum sollen die Judaica-Ausstellungen im engen Zusammenhang mit (Stadt-)Geschichte stehen. Diese Konzeption ist doch eigentlich ganz einleuchtend, oder?

Also beim DHM vermag ich noch gar nicht so recht zu erkennen, wo da ein jüdischer Schwerpunkt sein soll. Und was das Centrum Judaicum betrifft, glaube ich, daß es da ebensowenig eine Konkurrenz zum jüdischen Museum gibt, wie es eine zwischen DHM und Berlin-Museum gibt, obwohl beide Stadtgeschichte machen. Oder zwischen DHM und Topographie des Terrors, obwohl sich beide mit dem Nationalsozialismus beschäftigen. Das Centrum macht wichtige, aber kleine Kabinettsausstellungen, die sich in erster Linie auf die Synagogen als solche beziehen und hat entsprechend spezifisch interessierte Besucher; das wäre bei einem jüdischen Museum ganz anders.

Wie stellen Sie sich das Verhältnis zwischen Stadtmuseum und jüdischem Museum vor?

Man muß einen Schritt zurücktreten und sich die Entstehungsgeschichte klarmachen: Es gab das Berlin-Museum in der Lindenstraße, für das ein Erweiterungsbau gefunden werden sollte, in dem dann die Mode- und Theatersammlungen und vor allem das jüdische Museum untergebracht werden.

Die Direktoren von Berlin-Museum und Erweiterungsbau sollten einander fast gleichgestellt werden – das hieß „integratives Konzept“. Dazu ist es leider nicht gekommen, weil dann das Stadtmuseum als Dachverband gegründet wurde, in dem das jüdische Museum eins unter sechzehn anderen war, neben dem Sport- und dem Zuckermuseum. Die Unredlichkeit dieses gesamten Konzepts beginnt damit, daß viele Versprechungen von damals nicht eingehalten wurden. Jetzt hat sich gezeigt, daß das „integrative Modell“ gerade auf der Ebene der Administration nicht funktioniert.

Heißt das, Sie wollen das Museum künftig aus dem Stadtmuseum herauseisen?

Nein. Aber ein Museum, das den Namen jüdisches Museum verdient, kann nach meiner Auffassung nur in Autonomie bestehen. Autonomie heißt nicht, daß alle Flächen in dem Libeskind-Bau ausgegliedert werden aus dem Verbund mit dem Stadtmuseum, sondern daß die Institution sowohl kulturell als auch finanziell unabhängig ist und nicht gegängelt werden kann von einem Verwaltungsjuristen. Es geht darum, sowohl der Gestaltung als auch der Philosophie des Libeskind-Baus gerecht zu werden. Dieser Bau, den ich für eine Architekturikone halte, einen der zwanzig wichtigsten Bauten des 20. Jahrhunderts überhaupt, erfordert, daß man nicht faule Kompromisse eingeht, sondern den Königsweg beschreitet. Der Bau verschränkt die Berliner Geschichte mit der jüdischen Geschichte auf eine spezifische, spannungsgeladene Weise. Ich denke, was für den Bau möglich ist, muß auch bei der inneren Struktur möglich sein.

Die Entscheidungen müssen künftig von einem Stiftungsrat getroffen werden, in dem relevante gesellschaftliche Kräfte dieser Stadt vertreten sind. Es geht einfach nicht an, daß da nur der Kultursenator und der Generaldirektor selber drinsitzen. So funktioniert es in der Stiftung Topographie des Terrors: Auswärtiges Amt, Innenministerium, Regierender Bürgermeister, aber eben auch Initiativen, Ignatz Bubis und andere sitzen drin, und die Behörden, die eine hauchzarte Mehrheit haben, sind sich da durchaus nicht immer einig.

Wie soll es jetzt weitergehen? Es sind ja ziemlich harte Worte gefallen. Sie haben den Rausschmiß Barzels mit 1933 verglichen...

Es hat einmal das Konzept „Museum des ausgerotteten Volkes“ gegeben, und man muß, wenn man in Deutschland ein jüdisches Museum macht, ungeheuer aufpassen, daß man nicht in diese Ecke kommt. Im besten Fall käme dabei noch ein Mahnmal heraus, im schlechtesten Fall eine ethnographische Sammlung über „die Fremden“, die da von näher oder ferner nach Berlin gekommen sind...

...eine Reliquiensammlung...

Genau. Das versteht Herr Güntzer offenbar nicht. Er kann nicht begreifen, daß es in dieser Stadt immerhin 10.500 Juden gibt, die nicht zulassen können, daß ihr Bild fremdbestimmt wird.

Mein Vergleich mit 1933 war eine akademische Feststellung, ich glaube nicht, daß da Entschuldigungen am Platz sind. Es ist ja leider faktisch richtig. Man hat damals ja einige Museen überhaupt geschlossen und die Direktoren auf die Straße gesetzt. Barzel ist eben aus inhaltlichen Gründen gekündigt worden, das ist das Brisante. Man muß jetzt neu nachdenken. Es gibt ja Vorüberlegungen zur Ausstellungskonzeption von Libeskind, die nicht in Stein gemeißelt sind. Sie müssen von Experten kritisch durchgesehen und umgesetzt werden. Wenn das mal in vernünftiger Form möglich ist, kann das ein Museum werden, das internationale Ausstrahlung hat. Interview: Mariam Niroumand