Verdrängte Geschichte

■ Das Internationale Institut für Soziologie trifft sich in Köln zu seinem Weltkongreß

An der Universität Köln treffen sich ab heute mehrere hundert Soziologen auf dem 33. Weltkongreß des Internationalen Instituts für Soziologie (IIS). Während diesmal der Nationalstaat, Ethnizität und die Freiheit und Kontrolle in der Gesellschaft auf der Tagesordnung stehen, beschäftigte sich das Institut noch vor wenigen Jahrzehnten mit ganz anderen Themen: Eugenik, Rassenforschung und Rassenpolitik.

Das IIS ist zwar nicht der größte Soziologenverband, präsentiert sich aber nicht ganz ohne Stolz als die „älteste internationale Vereinigung in den Sozialwissenschaften“. Der 1893 gergündete Verband begreift sich selbst als „wandernde Akademie“, die sich alle zwei Jahre zu ihrem Weltkongreß zusammenfindet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das IIS von Soziologen dominiert, die eine erbbiologisch fundierte Soziolgie vertraten. Besonders deutschen Soziologen, wie zum Beispiel Karl Valentin Müller oder Arnold Gehlen, die sich wegen ihres Engagements für den Nationalsozialismus bei vielen Kollegen diskrediert hatten, diente die Vereinigung als Rückzugsbasis. Müller, der in den sechziger Jahren aufgrund des Millionenheeres „geistig und sozialmoralisch Schwachsinniger“ eine eugenische Bevölkerungspolitik für erwägenswert hielt, stieg schnell zum Generalsekretär des Instituts auf.

Stark beeinfluß wurde die Institutspolitik von dem langjährigen Präsidenten Corrado Gini. Er nutzte das Institut dazu, die Aktivitäten von Rassenforschern und Eugenikern zu koordinieren. Bis weit in die sechziger Jahre blieb Gini eine der Schaltstellen für Rassenhygieniker und Eugeniker.

Besonders hervorgetan hat sich Gini in den fünfziger und sechziger Jahren bei der Auseinandersetzung um eine Erklärung der Unesco zur Rassenfrage. Dem von der Unesco vertretenen Standpunkt, es gebe keine wissenschaftliche Basis für die Einteilung in Menschenrassen, versuchte Gini mit einer internationalen Kampagne entgegenzutreten, berichtet der Historiker und Soziologe Stefan Kühl in seinem Buch „Die Internationale der Rassisten“.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hat das IIS bisher verdrängt. Die Hoffnung bleibt, daß sie jetzt in Köln endlich geführt wird. Wolfgang Löhr

Stefan Kühl: „Die Internationale der Rassisten“. Campus Verlag, 1997, 339 Seiten, 38 DM