Amerikaner in Westfalen

15.000 Skater treffen sich jedes Jahr zum „Münster Monster Mastership“, ihrer Weltmeisterschaft. Die Einheimischen überleben's nur knapp  ■ Aus Münster Karl Wegmann

Ein Hauch von Großstadt liegt über dem Uni-Dorf Münster. Die Freiluftausstellung „Skulptur. Projekte 97“ zieht Besucher aus der ganzen Welt an. In diesen Tagen ist es nichts Ungewöhnliches, wenn einem fünfzig fröhliche Japaner auf Fahrrädern entgegenkommen, lächelnd radeln sie jedes noch so entfernte Kunstwerk ab. Doch das ist noch nichts gegen fünfzehntausend verwegene Pickelige auf rollenden Brettern in der Innenstadt.

„Monstercoole Skater in monstergroßen Hosen machen monsterviel Krach und beißen monsteroft in den Asphalt“, spottete schon im Vorfeld die Stadtillustrierte GIG. Nein, viele Freunde haben sie wirklich nicht, die Kids, die jedes Jahr zum „Münster Monster Mastership“, der offiziellen Skateboard-Weltmeisterschaft, in die erzkatholische Westfalenmetropole einfallen. Für das sportliche Ereignis interessiert sich, außer der Szene selbst, kein Schwein. Am Après-Skate ist das Interesse jedoch riesig. Die einhellige Meinung in Münster lautet: Wer die Skater hat, braucht keine Chaos- Tage.

Die ältere Bevölkerung erwartet von den Invasoren exzessiven Drogenkonsum, Vandalismus, Sachbeschädigung, Diebstahl und eine gigantische Umweltverschmutzung. Das alles gab's – so stand's in der Zeitung – schließlich auch im letzten Jahr. Andere zeigen sich schlicht gestreßt: „Die sind doch alle bescheuert, wie die da mit ihren Dingern kreuz und quer über die Straße eiern“, erregt sich ein Taxifahrer, „ich wünschte, es gäbe 'ne Abschußprämie für die. Dann könnt' ich mich nach drei Tagen zur Ruhe setzen.“

Wer die Skater hat, braucht keine Chaos-Tage

Studenten die am Trampelpfad der Skater zwischen Hauptbahnhof und Halle Münsterland wohnen, besorgen sich für die tollen Tage einen anderen Schlafplatz, und Menschen wie Almut vom Club „Gleis 22“ hoffen einfach, daß der Kelch an ihnen vorübergehen möge. „Im letzten Jahr waren nicht viele von denen bei uns“, erzählt sie erleichtert. „Mir reicht es schon, wenn ich den Bürgersteig langgehe, und dann kommt von hinten dieses Grollen – nur fünf Skateboarder. Aber das hört sich an, als würde man gleich von einem Panzer überrollt.“

Am schlimmsten, das weiß hier jeder, sind die Amis. „Vor allem die US-Amerikaner und Südamerikaner denken, sie kommen in die Provinz und können die Sau rauslassen“, meint der Pressesprecher der Münsteraner Polizei. Und gibt sich gelassen: „Wir haben alles im Griff.“ Nur „Carsurfing im Bereich der Bahnhofstraße“ findet er nicht so lustig. Bei dieser inoffiziellen Disziplin, „hängen sich die Jungs hinten an ein Auto; das sind natürlich irre Geschwindigkeiten, und die Verletzungsgefahr ist enorm.“ Das wird dann teurer. Normales Skateboardfahren auf der Straße kostet in Münster auch während der Weltmeisterschaft „zwischen 10 und 20 Mark“ Strafe.

Vergangenes Jahr fielen die Skater schon Tage vor der Veranstaltung über Einkaufszonen und Grünflächen her, in diesem Juli bleibt es seltsam ruhig. Am Donnerstag abend findet in der Discothek „Jovel“ die Eröffnungsfete statt. Als erste sind die jungen Frauen, Mädchen, Girlies da. Sie sitzen herum und warten. Worauf? „Auf die Kalifornier und die Brasilianer!“ Warum? „Das sind einfach die geilsten.“ Allmählich füllt sich die Disco, der „V.I.P.-Transport“ von Veranstalter Titus Dittmann kommt in Schwung. Nun mal her mit den „150 Topskatern aus 30 Nationen“. Und da ist auch schon einer, der könnte ein Ami- Star sein.

Auf den ersten Blick sieht er aus wie alle: Baseballkappe, schlabbrige Hose, vier Nummern zu großes T-Shirt. Wenn man genauer hinsieht, entdeckt man die Rolex am Handgelenk. Seine Begleiterin ist eine perfekte Kopie von Pamela Anderson – lange Gesichter bei den weiblichen Fans. Die beiden pflanzen sich an die Theke, ordern Mineralwasser und nehmen gelangweilt die Huldigungen der weniger Erfolgreichen entgegen. Der Weg zum lukrativen Sponsorenvertrag ist hart und macht einen echten Skater echt cool.

Als die Crossover-Kapelle anfängt, kommt ein wenig Stimmung auf. Zwischen zwei Songs ruft der Sänger plötzlich: „Hey, du da, vor zehn Jahren hab' ich die gleiche Mütze getragen. Da bin ich selbst noch gefahren, hab' mir dann aber beide Beine gebrochen.“ Dafür kriegt er keinen Applaus. „Im letzten Jahr war hier mehr los“, erzählt eine unterbeschäftigte Thekenkraft, „die Amis hatten das mit den Verzehrkarten nämlich nicht kapiert. Haben auf Karte gesoffen wie die Tiere, und am Schluß wollten sie nicht bezahlen. Gab 'ne Massenschlägerei an der Kasse, die die Jovel-Crew haushoch verloren hat.“ Aha, schon wieder die Amerikaner.

Diesmal versuchen die Münsteraner sie zu bändigen, indem für jedes Getränk vorher bezahlt wird. Außerdem haben sie neben der Kasse einen Typen installiert, der wie eine Gefriertruhe gebaut ist. Monster gibt's schließlich auch in Westfalen. Ergebnis: Die Amis kapieren schon wieder nicht. Diesmal wollen sie gar nicht saufen, nur lahm rumlümmeln.

„Training Street“ und „Training Halfpipe“ steht am Freitag, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, auf dem Programm. Nur in der Halfpipe tragen die Akteure Helm, Ellenbogen- und Knieschoner. Die Jungs im Streetcourse der Halle Münsterland fahren ungeschützt. Unfaßbar, daß sich bei diesen Geschwindigkeiten und brutalen Stürzen nicht alle paar Sekunden jemand den Hals bricht. Doch die Kids sind Adrenalinjunkies, Skaten ist ihr Leben, Verletzungen unwichtig und der Tod nur ein Gerücht, das Eltern verbreiten. „If you can't stand the heat, stay out of the kitchen“, sagen die Amerikaner.

Für das fachkundige Publikum ist es das Größte, daß in diesem Jahr Amerikaner und Brasilianer wieder im Wettbewerb mitmachen. Beim Championship '96 hatte es da nämlich einen Skandal gegeben. Ein Ordner hatte einen US- Boy unsanft vom Brett geholt, was er mit einem blauen Auge noch billig bezahlte. Die Amis sannen auf größere Rache, erklärten kurzerhand die ganze Anlage für lächerlich und boykottierten den Wettbewerb, die Brasilianer solidarisierten sich. So fiel die Skaterei letztes Jahr etwas flau aus. Und ein Deutscher gewann, der sich aber darüber nicht richtig freuen konnte. Denn, darin sind sich alle einig, die Amerikaner sind die Besten. Diesmal haben die Veranstalter vorgesorgt und einen der anerkanntesten Rampenbauer engagiert, Dave Duncan aus den USA – alle sind zufrieden.

Neben den wahnwitzigen Sprüngen ist für den Uneingeweihten vor allem eins interessant: die Hosen. Da hängt so eine Monsterhose knapp unter den Arschbacken (die Boxershorts fangen auf der richtigen Höhe an), was zur Folge hat, daß der Schritt im Knie baumelt. Warum rutscht die Hose nicht ganz runter, und warum zum Teufel tragen die Skater ihre Beinkleider so? „Sie halten eben“, sagt einer, der es wissen muß, „und der Schritt muß so tief hängen, damit er das Brett abfedert wenn ein Sprung mal nicht hinhaut. Das Gerät könnte dir sonst voll in die Eier knallen.“ Ist ja logisch!

Samstag veranstaltet MTV die „Monster Rocknight“ mit der Ami-Band Dog Eat Dog als Hauptact. Drum herum haben die anderen Sponsoren ihre Stände aufgebaut, verkaufen ihren Kram und verteilen Aufkleber. Ein schmaler grüner erfreut sich besonderer Beliebtheit: „Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland!“ Ist das politisch gemeint? „Nee, nur lustig.“ Ah ja. Alle amüsieren sich prächtig. Massenhaftes Stagediving, große Pizzafresserei, Marihuanaduft weht durch die Halle.

Und wo ist diesmal der „Terror in the City?“

Aber was ist draußen los, was ist mit „Terror in the City“? Steht die Stadt noch? Auf dem Bahnhofsvorplatz, Ort bizarrer Ausschreitungen im letzten Jahr, ziehen zwei Skater nachts um eins müde ihre Kreise. Ein halbes Dutzend anderer hockt an der Wand und hält sich an Bierdosen fest. Das ist sie schon, die ganze Randale. Nix Carsurfing, keine Ruhestörung, kein unmotivierter Vandalismus. Gute Nacht, Münster.

Der Taxifahrer antwortet am nächsten Morgen auf die Frage „Na, nerven die Skater?“ mit einem verständnislosen „Hä?“. Erst vor der Halle Münsterland fallen ihm die Jugendlichen mit den Brettern auf, und er fragt: „Wat is denn hier los? Hab' ich ja noch gar nix von mitbekommen.“ Das Münsteraner Anzeigenblättchen zieht unter der Überschrift „Mastership ohne Monster“ ernüchtert Bilanz und schließt mit: „...allerdings wurden 14 Fahrraddiebe überführt, die nach Ermittlung ihrer Personalien entlassen wurden.“ Auch kein Hit, im letzten Jahr waren es immerhin 24 Räderklaus.

Am Sonntag abend ist das große Spektakel vorbei. Die dreißig rollenden Nationen rücken ab. Studenten können wieder ihre im ehemaligen Kampfgebiet liegenden Wohnungen beziehen, die Stadtreinigung hat kein Problem, die Polizei sowieso nicht, die Volksseele wieder Ruh, kurzum: Münster gehört wieder den Münsteranern – und natürlich den radelnden Japanern.

Wer gewonnen hat? Natürlich die Amis!