Kukis und Mikis fallen durchs Netz

■ Arbeitsmarktbericht Juni '97: Rund 1.000 Lehrstellen fehlen in Bremen / Jugendliche sind flexibler, Unternehmen sind es nicht

Hunderte von SchulabgängerInnen werden im Herbst ohne Lehrstelle dastehen. Dies bestätigte gestern auf der Pressekonferenz zur Bremer Arbeitsmarkt-Situation Hans-Jürgen Lüschen, Leiter der Berufsberatung im Bremer Arbeitsamt mit den Worten: „Alles unter 1.000 fehlenden Ausbil-dungsplätzen wäre ein Erfolg.“

Während sich der Arbeitsmarkt insgesamt kaum verändert hat und bei einer Arbeitslosigkeit von 14,6 Prozent im Monat Juni knapp 500 Personen mehr Arbeit hatten als im Vorjahr, ist bei der Situation auf dem Ausbildungsmarkt noch nicht einmal ein saisonbedingtes Luftschnappen feststellbar. Auf jede unbesetzte Lehrstelle bewerben sich derzeit durchschnittlich drei AnwärterInnen. Damit hat sich die Situation auch im Vergleich zum Vorjahr drastisch verschlechtert: „Wir brauchen noch in jedem Berufsfeld Ausbildungsplätze“, klagt Lüschen. Endgültig seien damit die Zeiten vorbei, zu denen sich die Jugendlichen auf Modeberufe stürzten und Betriebe anderer Berufszweige händeringend nach Lehrlingen suchten: „Die Jugendlichen sind sehr viel flexibler geworden.“Momentan gibt es aber gerade mal 600 offene Stellen – für fast 2.000 BewerberInnen.

Die Unternehmen seien heute auf betriebswirtschaftliche Perspektiven fixiert, so Lüschen. „Der Gedanke, auch über Bedarf auszubilden, ist da vollständig raus.“In einer solchen Situation reagiere der Arbeitsmarkt sehr viel sensibler. „Der Zusammenbruch des Vulkan oder Einsparungen im Öffentlichen Dienst – das sind Verlustträger, die heute sofort spürbar sind.“

Dies sieht auch Paul Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe so: „Ein Großteil der Ausbildungsverträge entstand schon immer in den Netzwerken der Betriebe. Durch die Einstellung der Kundenkinder (Kukis) und der Mitarbeiterkinder (Mikis). Wenn diese Netzwerke heute zerfallen, dann sitzen die Jugendlichen auf der Straße.“

Der Konkurs des Vulkan traf so vor allem Jugendliche ausländischer Herkunft. Mit der Entlassung ihrer Väter, der Industriearbeiter-Generation, zerfiel ein Netz, in dem oft auch noch die Söhne aufgefangen wurden. Mehr als jeder zweite Jugendliche ohne Lehrstelle in Bremen wird deshalb in diesem Herbst ausländischer Herkunft sein, prognostiziert Carolina Monfort-Montero, die Leiterin der Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte: „Die Frauen sind davon mehr betroffen als die Männer.“Momentan gebe es in Bremen ungefähr 4.000 potentielle BewerberInnen um Lehrstellen – doch nicht einmal jede(r) Zehnte von ihnen mache eine Ausbildung in den klassischen Lehrberufen.

Die außerbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen sind da nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein: Mit 120 neuen Stellen rechnet Paul Schröder für das kommende Ausbildungsjahr. Wer dort auch nicht unterkommt, landet in Qualifizierungsmaßnahmen. Oder drückt weiter die Schulbank – entsprechend dem Bremer Gesetz, das vorsieht, daß jeder Jugendliche ohne Ausbildung zwölf Jahre zur Schule gehen muß. Aus den Statistiken sind sie damit erst einmal verschwunden. ritz