Schönster Verlierer der Welt

Der bulgarische Schachprofi Wesselin Topalow ist ein echter Siegertyp. Es unterliegt aber auch keiner so knackig wie er. In Dortmund allerdings gurkt er herum  ■ Von Stefan Löffler

1996 war ein gutes Jahr für Wesselin Topalow. Sechsmal wurde er Erster. Keiner gewann öfter als er. Bis Platz vier der Weltrangliste ist er dank seiner Serie geklettert. Nur ein Turnier ging ihm daneben. „Einmal im Jahr spielt man schlecht. Das ist normal“, sagt er: „Letztes Jahr war es in Dortmund, dieses Jahr in Nowgorod. Hoffentlich wird es in Dortmund umgekehrt.“ Das war zwischen den Turnieren. Nach Nowgorod, wo er voriges Jahr gewann, aber kürzlich den letzten Platz teilte. Und vor den Dortmunder Schachtagen.

Nach vier Runden sieht es dort jedoch nicht mehr nach einem Sieg aus für den Mitfavoriten aus Bulgarien. Dreimal mußte Topalow schon mit Schwarz spielen. Weiß beginnt das Spiel. Ein Zug weniger macht schon einen Unterschied. Besonders, wenn der Gegner einen halben Punkt abklammern will wie Robert Hübner in der ersten Runde. Alle drei Schwarzpartien endeten Remis.

Das wäre halb so wild, hätte er nicht sein bisher einziges Spiel mit Weiß in den Sand gesetzt. Ein rechtes Gegurke war das. Nicht mal seine Bezwingerin Judit Polgar wollte zufrieden sein damit. So liegt Topalow nun bereits zwei Punkte hinter dem führenden Wladimir Kramnik, anderthalb Punkte hinter Polgar und Anand.

Es sind gerade seine Niederlagen, die Topalow sympathisch machen. Wenn er eine draufkriegt, dann kurz und knackig. Das Magazin Schachinformator wählt regelmäßig die schönsten Partien der letzten Monate. In der jüngsten Auswahl saß Topalow in vier der zehn besten Partien auf der Verliererseite.

Vor kurzem schlugen er und sein Trainer Silvio Danailow vor, die Spielwertung zu ändern. Damit weniger Partien unentschieden enden, möchten sie Siege mit drei Punkten, ein Remis für Weiß mit einem Punkt und für Schwarz mit anderthalb Punkten werten. Wer mit den weißen Steinen spielt, soll gefälligst mehr riskieren. Unter gleichstarken Großmeistern wird mit Weiß beinahe doppelt so oft gewonnen wie mit Schwarz. Topalow allerdings verlor seine letzten drei Partien allesamt mit Weiß.

„Ich starte oft schlecht“, sagt er, und: „Ein schwaches Spiel ist drin. Aber nicht vier wie in Nowgorod.“ Als Topalow vor zwei Wochen in Deutschland ankam, schnappte er sich gleich eine Erkältung. Die ist längst weg. Woran merkt er sonst, ob er nicht in Form ist? – „Manchmal spielt man Züge, obwohl man weiß, daß sie nichts taugen.“ Wenn er sich mit seinen Nachbarn in der Weltrangliste vergleicht, ist das der Unterschied: „Kramnik und Anand sind stabiler. Es ist eine Frage des Stils: Ich versuche immer, Gewinnchancen zu bekommen. Meine Eröffnungen sind sehr scharf. Es gibt mehr Gelegenheiten für Fehler.“ Andere spielen seiner Meinung nach zu oft auf den halben Punkt. „Ich habe eine psychologische Barriere, auf Remis zu spielen.“

Angewöhnt hat er sich das in Spanien, wo er mit 17 und 18 Jahren von Open zu Open tingelte. Stets aus auf Preisgeld. So gut wie immer unter Gewinnzwang. Vorher noch ein unbekannter Junior, spülte ihn eine Serie von Erfolgen damals unter die ersten zehn der Weltrangliste. Da konnte er sich zunächst nicht behaupten und fiel zwischenzeitlich ein paar Plätze zurück. Aber er blieb seinem Stil treu.

Inzwischen ist Topalow 22 und hat die Ochsentour hinter sich. „Ich weiß nicht, ob ich heute noch die Kraft dafür hätte. Wer nicht in den Top 20 ist, muß ständig reisen und diese Opens spielen.“ Derweil bleiben die Spitzenleute immer unter sich. Achtmal saß Topalow binnen zwölf Monaten Judit Polgar gegenüber, sechsmal allein im letzten halben Jahr Wladimir Kramnik. Veranstalter ködern die Besten mit hohen Starthonoraren und knapsen dafür am Preisgeld. In Dortmund beträgt es nicht mal ein Zehntel der Starthonorare. Topalow hätte nichts einzuwenden, wäre es umgekehrt.

In Spanien wohnen mittlerweile einige Weltklassespieler: der Inder Anand, die beiden gebürtigen Russen Waleri Salow und Alexei Schirow und Topalow – Tür an Tür mit seinem Trainer und dessen Frau in der kanarischen Hauptstadt Las Palmas. Nicht nur des angenehmen Lebens wegen, sondern weil nirgends auch nur annähernd so viele Spitzenturniere stattfinden wie in Spanien.

In seiner Heimat spielte Topalow seit 1995 nicht mehr. Bulgarische Journalisten bekommt er kaum zu Gesicht. Während eines Turniers belagern sie dafür allabendlich das Telefon seines ständigen Sekundanten Danailow. Die Medienarbeit ist hart, zahlt sich aber aus. Bei der letzten Wahl zum Sportler des Jahres landete er hinter einigen olympischen Medaillengewinnern. Aber, und da muß Wesselin Topalow grinsen: „Vor Stoitschkow und allen anderen Fußballern.“