Im Kampf gegen die Wassermassen

Mindestens 30 Menschen durch das Hochwasser in Tschechien und Polen getötet. Viele Orte sind von der Außenwelt abgeschnitten. Verlassene Häuser werden geplündert  ■ Von Katrin Bock und Gabriele Lesser

Prag/Warschau (taz) – Die bisher größte Hochwasserkatastrophe in diesem Jahrhundert hat seit Anfang der Woche in Tschechien verheerende Schäden verursacht. Gestern stand bereits ein Drittel des Landes unter Wasser, Hunderte von Dörfern und ganze Städte im Nordosten waren von der Außenwelt abgeschnitten. Tausende Bewohner wurden bereits evakuiert. Bisher sollen in den Fluten mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen sein, mehr als zehn Personen werden derzeit noch vermißt. Es wird jedoch befürchtet, daß sich die Zahl der Opfer noch erhöhen wird, da aus Hunderten von Dörfern, die von der Außenwelt abgeschnitten sind, keine Nachrichten vorliegen.

Die Stromversorgung und die Telefonverbindungen brachen in weiten Teilen des Katastrophengebiets zusammen, zudem wird das Trinkwasser knapp. Dutzende von Häusern, Brücken und Straßen wurden zerstört. Eine überflutete Trassse in Ostmähren führte bereits Anfang der Woche zu einem schweren Zugunglück, bei dem mindestens 60 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Inzwischen ist der Bahnverkehr in und nach Nordostmähren eingestellt, internationale Schnellzüge werden umgeleitet.

Während im äußersten Norden die Katastrophe ihren Höhepunkt überschritten hat, wälzten sich gestern die Wassermassen gen Süden. In der 100.000-Einwohner- Stadt Olomouc/Olmütz brach die Stromversorgung zusammen. Zudem haben die Fluten in einem Chemiebetrieb mehrere Fässer mit hochgiftigen Chemikalien mit sich gerissen.

Zwanzig von der Armee und dem Innenministerium gestellte Hubschrauber versuchten Menschen von den Dächern ihrer Häuser zu bergen. Viele weigerten sich jedoch aus Angst vor Plünderungen, ihre Häuser zu verlassen. Erste derartige Fälle wurden bereits aus Nordmähren gemeldet. Unterdessen wurden erste Spendenkonten für die Opfer eingerichtet. Teilnehmer einer Blockade gegen das Atomkraftwerk im südböhmischen Temelin brachen ihren Protest ab und meldeten sich als Helfer im Katastrophengebiet.

In Polen hatte der sintflutartige Regen bis gestern nachmittag bereits 20 Todesopfer gefordert, zahlreiche Menschen werden vermißt. Teile Südpolens mußten zum Katastrophengebiet erklärt werden. Dort stehen über 250 Städte und Dörfer unter Wasser, 40.000 Menschen sind ohne Strom, Trinkwasser und Telefon. Über 6.000 Menschen, die sich auf die Balkone und Dächer ihrer Häuser gerettet hatten, wurden bereits evakuiert. Weitere 6.000 sollen mit Amphibienfahrzeugen aus den völlig überschwemmten Dörfern geholt werden. Auch hier weigern sich viele Menschen, ihre Häuser zu verlassen, obwohl bereits Stühle und Betten, Fernseher und Lebensmittel von den Fluten mitgerissen wurden, weil sie Diebstähle befürchten.

Am Dienstag war das Wasser im niederschlesischen Klodzko (Glatz) innerhalb weniger Stunden auf über zweieinhalb Meter über den Alarmpegel angestiegen. Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. Gestern nachmittag erreichte die Flutwelle das Oppelner Land. Auch in Krakau hat die Weichsel den Alarmpegel überschritten. Die Stadt rechnet mit Überschwemmungen in Teilen der Altstadt. Die Keller des alten Königsschlosses Wawel wurden leer geräumt, die Uferböschungen mit Sandsäcken gesichert. Am Samstag sollen die Flutwellen Warschau erreichen.

Nach Berichten des Österreichischen Rundfunks (ORF) mußten in der Umgebung von Wien ebenfalls Hunderte Menschen aus den Hochwassergebieten an den Nebenflüssen der Donau evakuiert werden. Zwei als vermißt gemeldete Personen sind nach Informationen des ORF vermutlich ertrunken. Einige Ortschaften in Niederösterreich waren wegen der Wassermassen auf den Straßen nicht mehr erreichbar.