Wand und Boden
: Konzept-DJs mit und ohne Kissen

■ Kunst in Berlin jetzt: Tobias Rehberger, York der Knöfel, Gerwald Rockenschaub

Zuerst waren es Laubsägearbeiten, dann kamen geschnitzte Holzmöbel hinzu, inzwischen bildet das gesamte Reservoir aus Lifestyle und Mode den Grundstock für die Arbeiten von Tobias Rehberger. In Venedig hat er auf der Biennale die Einheitsunterwäsche der Wärterinnen als Auflagenobjekt in einer Museumsvitrine ausgelegt, für seine Installation „brÛncusi“ hat der 30jährige Esslinger Bildhauer die Galerie neugerriemschneider komplett in den Farben der neuesten Cox- Schuh-Kollektion umgestaltet.

Dabei ist die ganze Angelegenheit durchaus strategisch gestrickt: Für die „Art Basel“ hatte die Galerie in den Sommerausgaben der Kunstzeitungen frieze und artforum eine Anzeige geschaltet, deren Layout von Rehberger entworfen war. Ein paar gelbliche Kreise schweben auf braunem Grund, feine weiße Linien setzen die geometrischen Figuren voneinander ab; mittig gesetzt stehen die Namen der Künstlerliste. Diese eher banale, aber sehr formschöne Grafik hat Rehberger zunächst als gemusterten Pullover fertigen lassen und danach auf den gesamten Galerieraum übertragen. Aus den Kreisen wurden Sitzkissen und Lampen, die Linie kehrt nun als Türumrahmung wieder, und statt der Künstlernamen hängen kleine Zeichnungen und Fotos der Beteiligten aus.

Der bildnerische Entwurf wird zum begehbaren Ambiente, irgendwo zwischen leicht schludrigem Ökodesign, Sixties-Dekor und total durchgestaltetem Gesamtkunstwerk. Aber auch historisch hat Rehberger einiges an Kontext parat: Seine Raumgestaltung nimmt durchaus Bezug auf die Konzeptkunst eines Robert Barry, dessen Ausstellung 1969 allein aus der Einladungskarte bestand. Anstelle der spitzen Kritik am Mythos vom white cube probiert es Rehberger allerdings eher mit einer benutzerfreundlichen Gemütlichkeit.

Bis 23.8., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Goethestraße 73

Der Effekt ist verblüffend. Im Aktionsraum des Hamburger Bahnhofs hat York der Knöfel seine Videoinstallation „Thoughts“ aufgebaut: 48 Monitore mit groß aufgenommenen Gesichtern sind zu einer Wand montiert, von der nun unentwegt Stimmen brabbeln. In fünf Meter Abstand zu diesem überdimensionalen Bildschirm hängen ebenso viele Kopfhörer aus, auf denen die einzelnen Stimmen dann präzise zu hören sind. Schlagartig stellen sich Verbindungen zu den monologisierenden Figuren her, die Frau mit dem lila Hut oben rechts etwa wird zum intimen Gesprächspartner, die anderen Gesichter treten dann in den Hintergrund. Es ist der Moment, in dem plötzlich eine Person mit ihrer performance – wie der Amerikaner selbst den Alltagsschwatz bezeichnet – klar aus dem Wust von Köpfen hervortritt, die Knöfels Mammutprojekt zu einem Kommentar über Identität macht. Die Konstruktion aus Stimme und Erscheinung ist audiovisuell sehr überzeugend.

So sieht es also aus, wenn ein Potsdamer über die Menschen in New York staunt. Unaufgeregt und mit viel Sympathie hat Knöfel die Kamera laufen lassen, insgesamt wurden 300 Interviews geführt, allesamt sehr spontan. Für die Installation wurde das Material ungeschnitten, quasi im Rohzustand der flüchtigen Begegnung gelassen. Manchmal erzählen Kunden im Hinterraum eines Friseurladens bloß, was ihnen zum Leben während des Wartens einfällt. Eine ältere Dame klagt darüber, daß sie zwei Päckchen Marlboro am Tag raucht und sich deshalb aufs Schlafen freut, weil sie da nicht rauchen kann. Und während sie minutenlang klagt, zündet sie sich eine Zigarette nach der anderen an. Schwer philosophisch wird es dagegen bei einem Biker, der darüber grübelt, daß die Sekunde, in der man mit jemandem spricht, auch der Augenblick ist, den man vom Leben versäumt. Wieviel Zeit aber muß erst York der Knöfel bei seiner Recherche verloren haben?

Bis 27.7., Di.–Fr. 9–17, Sa./So. 10–17 Uhr, Invalidenstraße 50/51

Beinahe wäre Gerwald Rokkenschaub zur documenta eingeladen worden. Aber bei einem öffentlichen Gespräch mit Catherine David in Wien erklärte der 1952 geborene Maler, daß ihn Kunst nicht mehr interessiert (angeblich wollte er damit bloß die dogmatischen Ausstellungstheoretiker ein bißchen ärgern). Viel lieber würde er als DJ in Techno- Clubs auflegen und Platten produzieren, statt sich mit dem ohnehin langweiligen Betriebssystem Kunst herumzuplagen. Das war doch zuviel Jugendkultur für David, nun müssen Mike Kelley und Diedrich Diederichsen statt echter DJs über das Sozialmodell Pop diskutieren.

Daß Rockenschaubs Absage an die Kunst nicht ganz so ernst gemeint war, sieht man in der Galerie Mehdi Chouakri. Auf Digitaldrucken hat er Plattenspieler auf orange und schwarze Felder reduziert, nebenan hängen abstrakte Kommunikationsschautafeln im NeoGeo-Stil eines Peter Halley, und gleich im Vorderraum ist ein gewaltiges Skulpturenensemble versammelt – aufblasbare Sitzkissen und rundgebogene Trennwände aus milchiger PVC-Folie. Noch immer geht es Rockenschaub dabei um die Schnittstelle zwischen zeitgemäßer Bildproduktion und Ausstellungsbetrieb: Wie haben sich die Darstellungsmittel durch Techno verändert? Vor allem sind sie situationsgebunden – was in der Galerie als minimalistisches Objekt auftaucht, könnte gerade an diesem Wochenende auch problemlos als Einrichtung für einen Chill-out-Room durchgehen. „Mein derzeitiges Programm heißt ,definitely something‘. Unter diesem Titel biete ich auch einen musikalischen Service an“, hat Rockenschaub letztes Jahr der Zeitschrift Noema erzählt. Vor zwei Wochen ist er damit in der Kalkscheune aufgetreten – als DJ und ohne die Kissen.

Bis 9.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Gipsstraße 11

Harald Fricke