■ Haushaltspolitik in der gesamtwirtschaftlichen Falle
: Zeit für den Euro-Keynesianismus

Der Entwurf für den Bundeshaushalt 1998 geht von einer illusionären Entwicklung der Wirtschaft und damit der Steuereinnahmen aus. Der Kassenwart wird 1998 erneut Schiffbruch erleiden. Bereits 1997 erzwingt die reale Entwicklung eine Erhöhung der Neuverschuldung von 53,3 auf 71,32 Milliarden Mark. Die öffentlichen Investitionen werden dagegen auf 59,1 Milliarden Mark reduziert. Nach dem Grundgesetz darf die Neuverschuldung die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Um dem Grundgesetz zu entsprechen, wird die überschießende Kreditaufnahme (endlich) als „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ interpretiert.

Verabschiedet sich die Bundesregierung damit von ihrer Angebotsdoktrin, daß nur die Entlastung der Unternehmen von Steuern, also ein schrumpfender Haushalt, die privatwirtschaftliche Dynamik stärkt? Sicherlich ist der Rückgriff auf den verpönten deutschen Keynesianismus à la „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 Opportunismus, um eine Verfassungsklage zu verhindern. Der Rückgriff auf die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ belegt aber auch das Scheitern der Finanzpolitik: Die Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben haben die Konjunktur belastet und die Arbeitslosigkeit erhöht. Ebenso die vielen Steuergeschenke an die Unternehmen, die nicht mit Investitionen und Arbeitsplätzen belohnt wurden. Die Folge: Die Bundesregierung, die auszog, die Neuverschuldung zu verringern, sieht sich am Ende mit höherer Neuverschuldung konfrontiert. Sie muß schließlich ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht eingestehen.

Statt durch öffentlichen Sparkurs und Steuerentlastungen für Unternehmen die Gesamtwirtschaft zu belasten, sollten die Finanz- und Geldpolitik auf einen abgestimmten Expansionskurs ausgerichtet werden. Nationale Alleingänge drohen angesichts der wirtschaftlichen Verflechtung in Europa zu versickern. Deshalb muß eine Wachstums- und Beschäftigungspolitik mittels fiskalischer und monetärer Instrumente europäisiert werden. Die Mitgliedsländer exerzieren derzeit eine abgestimmte Finanzpolitik vor: Unter dem Regime des ökonomisch sinnlosen Konvergenzkriteriums drei Prozent Neuverschuldung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt gerät Europa zu einer Deflationsgemeinschaft. Das mit restriktiver Finanz- und Geldpolitik angerichtete Desaster erzwingt eine Umkehr zum abgestimmten Euro-Keynesianismus. Rudolf Hickel

Der Autor ist Professor für Finanzwissenschaft in Bremen