Plädoyer für Kamille und Königskerze

■ Freiraumplaner Christoph Theiling gegen Poller und „Weggrünen“– heute abend Viertel-Inspektion

Menschen kaufen in Frischhaltezentren wie Kafu ein und ziehen sich ansonsten ins Private zurück. Öffentliche Plätze, in denen sich die Leute ungestört vom Verkehrslärm aufhalten können, werden rar. Marktplätze verkommen. So stellt sich Detlef Kniemeyer, Chef des Bremer Planungsamtes, die triste Stadt der Zukunft vor. Um das Horrorszenario zu vereiteln, hat seine Behörde kürzlich beim Bremer Planungsbüro „Collage Nord“die Studie „Plätze in Bremen – Platz haben und Platz lassen“in Auftrag gegeben.

Christoph Theiling, einer der beiden Autoren, setzt sich darin mit „freiraumplanerischen Aspekten“auseinander – mit der Brauch- und Unbrauchbarkeit öffentlicher Plätze, wie er es formuliert. Bei einem abendlichen Spaziergang durchs Steintor- und Ostertorviertel zieht der selbständige Freiraum- und Landschaftsplaner mit Lehrauftrag an der Kasseler Gesamthochschule heute abend Bilanz.

Tatort Viertel: Als „unbrauchbar“stuft der Planer in einem Vorgespräch mit der taz den Platz an der Mecklenburger Straße ein, wo der Ökomarkt stattfindet und ein unattraktiver Spielplatz vergeblich auf Kinder wartet. Dunkel und trist wirke diese Anlage, sagt der 32jährige. Alles sei „weggegrünt“worden. Gärtnerische Strauchvegetation, also künstlich angepflanztes Grün im Gegensatz zum wild wuchernden Unkraut, versperre den freien Blick über den Platz. Die Folge: „Keiner will sich hier gemütlich hinsetzen, nachts traut sich niemand über den Platz.“Ein Eiscafé würde an diesem Standort ruckzuck eingehen, vermutet der Planer. Sein Lösungswort: „Strauchwerk roden, Freiflächen herstellen.“Theiling plädiert für Bäume. An den Rändern würde er „spontane Vegetation“zulassen, gemeint ist Unkraut wie Kamille, Gräser, Löwenzahn und Königskerze.

Positivbeispiel ist für ihn indes der Brommyplatz im benachbarten Peterswerder, bei dessen Umgestaltung er selbst die Finger im Spiel hatte. Ein bißchen Eigenlob muß eben sein. Früher sei der Platz durch eine fünf bis sechs Meter breite Strauchbepflanzung wie von einer Mauer umschlossen worden, erinnert er. Nach der Umgestaltung vor einem knappen Jahr haben sich hier Linden, Eschen, Unkräuter – und Boulespieler angesiedelt. Eine Anwohnerin ist skeptisch: „Die haben den Platz denaturiert.“Allerdings seien mit dem Kahlschlag auch die leidigen Hundehaufen verschwunden, sagt sie. Jetzt kann sie hier wieder ihr Kind spielen lassen.

Auch Straßenräume sind öffentliche Plätze. Um Übersichtlichkeit geht es hier Theiling, der seine Diplomarbeit über das Bremer Haus geschrieben hat. Vorzeigebeispiel: die Prangenstraße im Steintor-Viertel. In dieser gründerzeitlichen Straße hat alles seine Ordnung: Haus, Vorgarten, Zaun, Gehsteig, Straße, Gehsteig, Zaun, Vorgarten, Haus. Der gebürtige Achimer begrüßt solch „klassische Zonierung“. Jeder wisse, wo er dran sei, lobt er.

Rot sieht er hingegen bei den jüngst aus dem Boden geschossenen Pollern: „Das sind die größten Hindernisse und Gefährdungen, auf die sich das Viertel in den letzten Jahren eingelassen hat.“Seien die Autos bisher flächig auf Haupt- und Nebenstraßen des Quartiers verteilt worden, verstopfe der Verkehr heute unnötig den Osterdeich. Als Promenade sei der schlicht unbrauchbar, während der Ostertorsteinweg zur leblosen Fußgängerzone verkomme. Theilings Einsicht: „Zur Stadt gehören Autos.“Sein Wunsch deshalb: Weg mit den Pollern und zurück zu begradigten Straßen.

Eigene Vorstellungen hat der Mann aus Kassel auch zu künftigen Verschönerungsaktionen in der City. Statt Millionen in die Umgestaltung der wesernahen Schlachte zu pumpen, würde er den Geldsegen allen Stadtteilen zukommen lassen, gerade auch Arbeiterquartieren wie Gröpelingen und Oslebshausen. Schließlich könne es doch nicht darum gehen, die Innenstadt für japanische und amerikanische Touristen aufzupeppen und andere Viertel hinten runterfallen zu lassen. Sabine Komm

Wer mit Theiling über Poller und Unkraut streiten möchte, hat dazu heute abend Gelegenheit. Auf einem von Design Zentrum und Architektenkammer organisierten Rundgang durch das Ostertor- und Steintor-Viertel geht es um „Die Lesbarkeit öffentlicher Plätze“. Start der zweistündigen, etwa zwei Kilometer langen Tour ist im Bürgerhaus Weserterrassen am Osterdeich um 17.30 Uhr.