■ Heute debattiert das Europaparlament über Genpatente
: Eine epochale Entscheidung

1995 hat das Europaparlament die Patentierung von Lebewesen noch abgelehnt. Heute findet die Nagelprobe statt: Macht das Parlament den Kniefall vor der Gentechindustrie und der EU-Kommission und stimmt einem nur geringfügig geänderten Richtlinienentwurf zu? Oder zeigt es Glaubwürdigkeit?

Auch der neue Richtlinienvorschlag sieht die Patentierbarkeit von Lebewesen vor. Da nur Erfindungen patentiert werden können, wird die Entdeckung pflanzlicher, tierischer und menschlicher Gene in eine Erfindung umgedeutet. Menschliche Gene können patentiert werden, sie müssen lediglich aus dem menschlichen Körper isoliert werden. Sie gelten als Erfindung, selbst wenn der Aufbau völlig identisch mit einem natürlichen Teil des menschlichen Körpers ist. Damit wird die Menschenwürde verletzt. Der Mensch wird zum biologischen Material degradiert.

Sollte das Parlament dieser Richtlinie zustimmen, droht ein ethisches Desaster. Zum erstenmal seit der Abschaffung der Sklaverei können wieder Eigentumsrechte am Menschen oder Teile des Menschen erworben werden. Die Patentierung von Menschengenen macht Individuen und Ethnien zu einer genetischen Goldgrube. Selbst das Klonen mit Körperzellen, wie beim Schaf Dolly, wird nicht ausgeschlossen.

Dies alles wird zu einem ungeheuren Kommerzialisierungsschub in der Medizin führen. Mit dieser Richtlinie wird die Zwei-Klassen-Medizin zementiert. Dazu kommt, daß eine Patentierung von Erbsubstanz angewandte Forschung blockieren und Innovationen behindern würde. Durch die Patente werden alle – auch die zukünftigen – Nutzungsmöglichkeiten der Gene monopolisiert und die Natur privatisiert. Wenige multinationale Konzerne erhalten so die Möglichkeit, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu kontrollieren. Auf lange Sicht kann die Patentierung von Lebewesen somit zur genetischen Uniformität führen und das Artensterben forcieren. Die biologische Vielfalt, unser aller Kulturgut, wird zu einem industriellen Produkt, das privat verfügbar ist. Tiere werden nicht mehr als eigenständige Lebewesen und Mitgeschöpfe gesehen. Und wenn Tiere wie Mikrowellenherde patentiert werden können, dann bedeutet dies eine radikale Verdinglichung von Lebewesen.

Kurzum: diese Abstimmung ist eine Nagelprobe für das Europaparlament. Wenn es dem Motto „Die EU-Kommission läßt das Parlament solange abstimmen, bis das Ergebnis paßt“ folgt, wäre es als EU-Institution nicht mehr ernst zu nehmen. Hiltrud Breyer

Mitglied des Europäischen Parlaments für die Bündnisgrünen