Im Baskenland herrscht Kriegsmüdigkeit

■ Auf die wachsende Kritik an ihren Aktionen reagiert die ETA mit Forderungen, die die Basken inzwischen ablehnen

Ein Mann wird erschossen, ein Land gerät in Aufruhr, Hunderttausende strömen auf die Straße – doch ein Grüppchen läßt sich nicht beirren. Wie stets zuvor weigerte sich Herri Batasuna, der politische Arm der Terrortruppe ETA, auch diesmal, den Mord an einem Politiker zu verurteilen. Daß es Anhänger von Herri Batasuna (HB) noch am Wochenende wagten, diejenigen anzugreifen, die wegen des Mordes öffentlich protestierten, zeigt, daß die Gruppe ebenso wie die ETA selbst in einer geschlossenen Welt lebt, die vornehmlich der Vergangenheit verhaftet ist.

Gegründet wurde die ETA im Jahre 1959. Diktator Franco hatte dem Baskenland die Autonomie geraubt, zahlreiche Basken ins Exil getrieben und die baskische Sprache verboten. Als die Gruppe 1967 Francos Innenminister Carrero Blanco ermordete, konnte sie sich deshalb der Zustimmung vieler auch außerhalb des Baskenlandes sicher sein. 1975 starb Franco und mit ihm nach fast vier Jahrzehnten der Franquismus. Die sozialistische Partei PSOE, die 1982 an die Regierung kam, war nicht viel weniger zentralistisch als die Franquisten; sie traute den konservativen, katholischen und eigenbrötlerischen Basken nicht über den Weg, und so änderte sich an der Rechtlosigkeit im Baskenland vorerst nur wenig. Jedes Stückchen Autonomie mußte der Regierung Gonzalez mühsam abgetrotzt werden.

Im Baskenland verstärkte dies den Eindruck, daß sich seit Franco nichts wesentliches geändert hatte. Die ETA griff weiterhin spanische Soldaten und Polizei an, der Staat antwortete darauf mit dem „schmutzigen Krieg“ der Terrororganisation GAL, die, finanziert vom spanischen Innenministerium, im französischen Baskenland Anschläge auf tatsächliche und vermeintliche ETA-Mitglieder verübte. 22 Menschen fielen ihnr bis 1986 zum Opfer. Folter und Repression gehörten zum Alltag.

Die Gruppe ließ weiterhin im Namen eines unabhängigen Baskenlandes Autobomben detonieren, erhob von Unternehmern eine „Revolutionssteuer“ zur Finanzierung der eigenen Unternehmungen und entführte gelegentlich einen Industriellen, um finanzielle Engpässe zu überwinden. Ihr politischer Arm, Herri Batasuna, erfreute sich der Zustimmung von über zehn Prozent der Wähler – größtenteils Jugendliche, die sich den Forderungen nach einer gerechten Verteilung des Reichtums anschlossen und in der Friedens- und Umweltbewegung aktiv waren, sowie Ältere, die sich von HBs Nationalismus angezogen fühlten.

Doch zu Beginn der neunziger Jahre weichten alle Fronten auf. Die Sozialisten hatte ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren und mußten sich von den katalanischen und baskischen Konservativen tolerieren lassen – was sie mit politischen Zugeständnissen bezahlten. So wurde die spanische Polizei aus dem Baskenland abgezogen, die baskische Sprache wurde aufgewertet und einige Entscheidungsbefugnisse von Madrid ins Baskenland verlagert.

Ab 1993 kam dann nach und nach heraus, wie sehr der Staat in den „schmutzigen Krieg“ verstrickt gewesen war. Das trug dazu bei, daß die Sozialisten bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1996 schließlich die Macht verloren. Die konservative Partido Popular des neuen Regierungschefs Aznar mußte sich ebenfalls auf die baskische Partei PNV stützen und bezahlte wie die PSOE in politischer Münze: Den Basken wurden weitreichende Befugnisse in Sachen Steuerverwaltung zugestanden. Auch sonst führte sie die Politik der Sozialisten fort: politische Befriedung und militärische Verfolgung der ETA, hieß die Devise. Seit im Jahre 1989 Verhandlungen zwischen der sozialistischen Regierung und der ETA in Algerien gescheitert waren, hatte es ohnehin keinen ernstzunehmenden Dialogversuch mehr gegeben.

Im Baskenland haben die politischen Zugeständnisse sowie eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu einer veränderten Haltung geführt. Zwar konnte HB ihre Stimmen halten, doch differenzierte sich die Einstellung zum bewaffneten Kampf immer mehr aus. Anfang der 90er Jahre waren in Kirchenkreisen Gruppen entstanden, die sich für ein Ende der Gewalt einsetzten. Als die ETA 1995 den Kleinunternehmer José Maria Aldaya entführte, weil er sich geweigert hatte, die Revolutionssteuer zu bezahlen, versammelten sich an verschiedenen Orten des Baskenlandes einmal wöchentlich Bürger, die dort schweigend seine Freilassung forderten. Ihnen gegenüber standen HB-Leute, die sie als Verräter beschimpften, und Mütter von ETA-Gefangenen, die sie anschrien. Dabei flogen auch Steine.

ETA und HB schlossen als Antwort auf die wachsende Kritik an den bewaffneten Aktionen die Reihen nur noch fester. HB- Mitglieder bekamen für öffentliche politische Äußerungen einen Maulkorb verpaßt, bei einer Erneuerung der politischen Führung der Gruppe wurden Hardliner eingesetzt. In einem Perspektivpapier für die Jahre 96 und 97 erklärte HB, allein die bewaffneten Aktionen der ETA seien imstande, die „demokratische Alternative“ durchzusetzen, die sich die ETA auf die Fahnen geschrieben hat: Recht auf Selbstbestimmung, bedingungslose Amnestie der Gefangenen der ETA, Anerkennung der territorialen Einheit des Baskenlandes (d. h. die Eingliederung der Provinz Navarra). Daß die Mehrheit der Basken heute keine Unabhängigkeit vom spanischen Staat wünscht, sich eher mehr Selbstständigkeit durch eine Stärkung der EU erhofft, und daß die Navarrer mehrheitlich nicht zum Baskenland gehören möchten, nehmen die Vertreter dieser politischen Option nicht zur Kenntnis.

Selbst die Forderung nach Zusammenlegung der ETA-Gefangenen, deren Nichterfüllung zum Mord an Blanco führte, ist nicht ohne Widersprüche: Die ideologische Front der Gefangenen ist nicht so geschlossen, wie die ETA gerne glauben macht. In einzelnen Gefängnissen wurden inzwischen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um ETA-Gefangene, die sich womöglich vom bewaffneten Kampf distanzieren, vor ihren Mitkämpfern zu schützen. Antje Bauer