Schreibträumender Lügner in versandeter Restwelt

■ Bildnis des Autors als junger Mann - Ein Porträt Jan Bürgers

Ein junger Autor bedeutet ein Versprechen, aber werden seine Texte es halten? Jan Bürger schreibt in seiner jüngsten Erzählung Großmutter: „Wie fast jeder habe ich mich mit dreißig von meinen letzten großen Plänen und Träumen verabschiedet“. Der Mann lügt.

Jan Bürger wurde 1968 in Braunschweig geboren und lebt heute in Hamburg. Er hat die dreißig in Wirklichkeit also noch vor sich, während er sie erzählend bereits verabschiedet. Auch seine Absage ans Träumen ist nicht ernst zu nehmen, denn er nutzt das Schreibfeld der Fiktion, getreu dem Grundsatz von Antonin Artaud: „Es wird nicht nur das Rekto, sondern auch das Verso des Geistes in den Menschen einführen; die Wirklichkeit der Vorstellungskraft und Träume wird dabei auf gleicher Ebene mit dem Leben stehen.“

Die Erzählungen des produktiven Lügners Bürger stehen in den Hamburger Ziegeln (Dölling und Galitz Verlag, Hamburg). Aschwüste beispielsweise spielt in Zeiten des Versandens der Welt und handelt von der innigen Liebe eines jungen Mannes zu der dreibrüstigen Teje; der folgende Dialog wirft ein erhellendes Licht auf ihren Verfasser: „–Ich bin Schriftsteller, deshalb schreibe ich. Ä...Ü', sagte er. –Aber überall liegt Asche. Als ob alles vergangen ist. Wofür noch schreiben–, wandte ich ein.“Schreiben selbst als Rechtfertigung für das Schreiben. Für Bürger ist die Wirklichkeit der Worte der Realität allemal überlegen.

Als Aschwüste erscheint, ist Jan Bürger an der Werkausgabe des Schriftsteller-Giganten Hans Henny Jahnn mitbeteiligt. Einen derart produktiven und erfolglosen Autor wie Jahnn vor Augen zu haben, und dessen ungeachtet das eigene Schreiben weiterzutreiben - Respekt.

Bürgers Freiräume sind die Sprach-träume - die jeder Leser mit seinem Sinn aufladen kann. So erzählt Tinto (Hamburger Ziegel 1994/45) von einer brutalen Initiation - entrückt in nördlicher Fremde, kommt eine Gruppe junger Menschen zusammen. Ein Fremder gesellt sich zu ihnen, den sie schließlich grausam und lustvoll vernichten. Was ist da Traum, was Wirklichkeit? Nicht zufällig zitiert Bürger eine Stelle von Novalis: „Gerade das Eigenthümliche der Sprache, daß sie sich bloß um sich selbst bekümmert, weiß keiner. Darum ist sie ein so fruchtbares Geheimniß, - daß wenn einer bloß spricht, um zu sprechen, er gerade die originellsten Wahrheiten ausspricht. Will er aber von etwas Bestimmten sprechen, so läßt ihn die launige Sprache das lächerlichste und verkehrteste Zeug sagen.“

In Großmutter (Hamburger Ziegel 1996/97) schreibträumt Bürger die unaufhörliche Liebe eines Jungen zu seiner Großmutter. Ihre intime Körpernähe geht bis in den Tod - aber das lese bitte jeder selbst.

Der junge Autor Jan Bürger hat erst wenige Geschichten vorgelegt. Es lohnt, sie kennenzulernen. Derzeit arbeitet Bürger an einem Großstadtroman - versprochen.

Frauke Hamann