„Mein Christus uriniert“

■ Streit um „onanierende“Christusfigur führt bis vor das Lübecker Amtsgericht

Das Lübecker Amtsgericht hat gestern einen Künstler von dem Vorwurf freigesprochen, durch ein Kunstwerk die religiösen Gefühle von Passanten verunglimpft zu haben. Der freischaffende Künstler Ulrich Scheppke hatte im Mai 1995 eine „satirische Kreuzigungsgruppe“auf dem Dach eines alternativen Kulturzentrums am Rande der Lübecker Altstadt aufgestellt. Diese Darstellung war von Passanten als anstößig empfunden worden, weil die Christusfigur mit einer Hand ihr Geschlechtsteil umfaßt hielt. Die Haltung sei von Betrachtern als Geste des Onanierens interpretiert worden, befand Staatsanwalt Hans-Jügen Ehlers. Eine solche Darstellung erfülle den Straftatbestand der Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses und störe den öffentlichen Frieden.

Ganz anders sah das der Künstler selbst. „Mein Christus onaniert nicht, der uriniert“, verkündete Scheppke. „Christus hat 2.000 Jahre lang am Kreuz für die Sünden der Menschen gebüßt. Ich wollte darstellen, daß er jetzt Gott den Gehorsam verweigert.“Er habe es als „vitale Geste“gesehen, wenn Christus jetzt „seine eigenen Geschäfte wieder in die eigenen Hände“nehme, sagte der Künstler. Die Darstellung sei als Symbol für „Verweigerung und Loslassen“gemeint gewesen.

Der Staatsanwalt erklärte dagegen, hier sei eben nicht losgelassen, sondern vielmehr zugepackt worden. Durch die provokante Darstellung seien daher „zentrale Inhalte“des Christentums „erschüttert und verunglimpft“worden und deshalb forderte er 200 Mark Geldbuße. Amtsrichter Thomas Stanisak jedoch blieb gelassen. „Kunst muß und darf provozieren“, erklärte er zur Begründung des Freispruchs. Die Gotteslästerung allein sei kein Straftatbestand mehr. Aus gutem Grunde verlange das Gesetz, daß nicht nur religiöse Gefühle verletzt, sondern auch der öffentliche Friede gefährdet sein müsse. Stanisak: „Nach den jüngsten Anschlägen in dieser Stadt frage ich mich wirklich, inwieweit diese Figur den öffentlichen Frieden gefährden könnte.“ Eva-Maria Mester