Anti-Gangsta-Rappa

■ Das Nordbremer Duo „Mutlu“bringt deutschem HipHop den Soul bei und haßt jede Form von Tralala

Rap mit deutschen Texten ist schwer angesagt, aber dem Soul mag sich die von vielen als zu hart empfundene Sprache selten beugen. Die Schwestern Derya und Sema aus dem Bremer Stadtteil Blumenthal wagen trotzdem die Verqickung von HipHop, Soul und allerlei anderen Richtungen schwarzer Musik mit deutschen Texten. Unter ihrem Familiennamen „Mutlu“veröffentlichten sie dieser Tage ihr Debütalbum und die erste Single „Wann rufst du mich an“. Für Sängerin Sema stand die Wahl der Sprache außer Frage: „Auf deutsch klingen die Texte nicht so verlogen und tralala. Da kann ich Feinheiten reinbringen, wie ich das auf englisch nie könnte. Ich wollte beweisen, daß man auf deutsch Gefühle transportieren kann, ohne daß es gleich kitschig wird.“Nicht einfach: „Zuerst dachte ich: Oh je, das klingt alles wie Jule Neigel.“

Eine Sorge, die sich als unbegründet erwies. Das Album „Mutlu“bietet eine beachtliche musikalische Bandbreite, bei der entschlackter HipHop mit Soul-Refrains im Vordergrund steht. Trotzdem haben auch eine rockende Crossover-Nummer, ein enorm tanzbarer House-Ohrwurm und eine reine Ballade darauf Platz, ohne daß die Vielseitigkeit auf die Kosten eines wiedererkennbaren Profils ginge.

Ebenso vielfältig die Texte. Neben genretypischer, aber hier erfreulich unverkrampfter Selbstdarstellung geht es um Kindesmißbrauch, Aufreißertypen, Möchtegern-Gangstas, Ebbe im Portemonnaie, Krankheit, Freundschaft, Sex und Sehnsucht. Die Singleauskopplung sei „eigentlich so der belangloseste Song auf dem Album“, sieht Rapperin Derya die Sache realistisch.

Die 19jährige Derya macht ihre acht Jahre ältere Schwester für ihre musikalischen Vorlieben verantwortlich. „Sema hat früher immer Aretha Franklin- und Jimie Hendrix-Platten mitgebracht. Hendrix hat mich sehr beeinflußt, und als ich zum ersten Mal ,Living Color' hörte, wollte ich Crossover machen.“Das tat sie dann auch. Während sie sich mit ihrer Crossover-Band durch Bremer Freizeitheime rapte, sang Sema Coverversionen, Jazzstandards und Acid-Jazz in diversen Bands. Musikalisch kamen die beiden erst durch Semas Gesangslehrer Peter Huber zusammen, jetzt Ko-Produzent von „Mutlu“. Er suchte eine zweite Sängerin/Rapperin für ein Projekt, und Sema erinnerte sich an ihre talentierte kleine Schwester.

„Mutlu“sind türkischer Abstammung, aber ihre Herzen schlagen lokalpatriotisch für Bremen-Nord, wo Derya geboren wurde und Sema im zarten Alter von sechs Monaten mit den Eltern hinzog. Obwohl ihre Abstammung kaum Einfluß auf die Musik nehme, bekommen die Musikerinnen durchaus Unterschiede zwischen den Kulturkreisen zu spüren.

Ein Lied für die schwer erkrankte Mutter wurde von Türken so ernst genommen, wie es gemeint ist, stieß bei deutschen Hörern aber auf Mißtrauen. „Die denken, ich hätte mir das ausgedacht, um auf die Tränendrüse zu drücken!“regt Sema sich auf.

„Ich bin doch kein Teenie mehr! Ich kann doch ein Lied darüber machen, daß ich meine Mutter liebe!“

Probleme ganz anderer Art macht die geplante türkische Fassung des Albums. „In der türkischen Popmusik geht es nur um Liebe, Schmerz und Melancholie.

Songs über Kindesmißbrauch oder ein erotischer Text sind völlig unmöglich. Und wenn ich darüber singe, daß ich kein Geld habe, interessiert das einfach keine Sau.“

Dabei ist Geld für „Mutlu“jetzt alles andere als uninteressant. Ein aufwendiger Videoclip und eine Tour sind im Budget vorerst nicht drin. Sema verliert ihr Studium in Hamburg vorsichtshalber nicht aus den Augen.

Derya hat zwar gerade eine Ausbildung zur Erzieherin abgebrochen, aber eingleisig fährt auch sie nicht. Obwohl die Musik immer ihre große Leidenschaft bleibe, liebäugelt sie nebenbei mit der Schauspielerei. „Aber nicht in ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten' oder so einem Mist!“

Andreas Neuenkirchen

Live-Auftritt von Mutlu: Am heutigen Mittwoch bei der School-Out-Party auf der Bürgerweide; die CD erscheint am 21. Juli