Papierkonzern Herlitz zerfleddert

■ Nach Totalverlust seiner Papierfabrik in Rußland will Herlitz-Vorstand drei der vier Konzernsparten verkaufen. Für 1997 drohen 130 Millionen Mark Miese. Sparmaßnahmen könnten Jobs kosten

Verstohlen schneuzte die Wilmersdorfer Witwe in ihr besticktes Taschentuch. Die Herlitz-Aktie ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wieder keine Dividende! Voraussichtlich könne der Papierkonzern dieses Jahr keine Gewinnbeteiligung ausschütten, erklärte gestern der Vorstandsvorsitzende Karel de Vries während der Aktionärsversammlung im ICC. Es drohen rote Zahlen von rund 130 Millionen Mark. Die kommen dadurch zustande, daß der Konzern seine 36-Prozent-Beteiligung an der russischen Papierfabrik AO Volga in Nischni Nowgorod komplett auf die Verlustliste setzt.

Weil der Rubel nicht mehr rollt, wird das Traditionsunternehmen in der nächsten Zeit langsam, aber sicher zerfleddern. Der Vorstand hat beschlossen, alles, was nicht unbedingt notwendig ist, zu verkaufen. In der vergangenen Woche wurde erst einmal AO Volga stillgelegt – eine der größten Fabriken für Zeitungspapier in Rußland mit 5.000 ArbeiterInnen. Wegen der sinkenden Papierpreise und des schlechten Absatzes in Osteuropa könne das Werk auf absehbare Zeit nicht gewinnträchtig arbeiten, hieß es. Als nächstes will die Berliner Konzernzentrale das Münchener Tochterunternehmen Herlitz International Trading (HIT) abstoßen.

Danach wird wohl die Einzelhandelskette McPaper an der Reihe sein, über die Herlitz einen Teil seiner Produkte vertreibt. Von den Filialen werde man sich „vollständig trennen“, erklärte Vorstand de Vries. Auch für die Tochter Falkenhöh AG sucht er einen Käufer, der die Mehrheit der Anteile übernehmen soll. Falkenhöh baut eine große Wohnsiedlung vor den Toren Spandaus und macht aus den alten Industrieflächen am Borsigturm in Tegel ein Dienstleistungszentrum.

Von den bisherigen vier Standbeinen des Konzerns soll nur der Kernbereich, die Herstellung von Schulheften, Ringbüchern und anderen Schreibwaren, im alleinigen Besitz des Unternehmens bleiben. Nach Jahren stürmischen Wachstums und Ausweitung der Aktivitäten ins Ausland und dem Einstieg ins Immobiliengeschäft legt Herlitz damit den Rückwärtsgang ein. Der Vorstand habe erkennen müssen, daß man die in den vergangenen Jahren aufgebauten zusätzlichen Geschäftsfelder nicht ausreichend finanzieren könne, gestand de Vries ein.

Während 1977 erst 660 Menschen in der Firma arbeiteten, waren es Ende vergangenen Jahres 5.200. Durch den Verkauf der Tochterunternehmen ist dort mit einem Abbau von Arbeitsplätzen zu rechnen. Wegen Immobilienverlusten hatte Herlitz bereits 1995 rote Zahlen geschrieben und keine Dividende gezahlt. 1997 sah mit einem Umsatz von 1,7 Milliarden und 50 Millionen Mark Gewinn freundlicher aus.

Trotz der miesen Aussichten für die kommenden „zwei bis drei Jahre“, so de Vries, kam es gestern bei der Hauptversammlung nicht zu Tumulten. Die typischen Herlitz-AktionärInnen sind Oma und Opa von nebenan, die dem Betrieb schon aus Tradition die Treue halten. Hannes Koch