Wunschliste der Atomindustrie

Bund ändert Atomgesetz: Für das Endlager Morsleben gilt windige DDR-Genehmigung nun bis 2005. Salzstock in Gorleben wird per Spezialparagraph zur Enteignung freigegeben  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Heidrun Heidecke, die Umweltministerin von Sachsen-Anhalt, will gleich das höchste Gericht anrufen: Die Bündnisgrüne Ministerin kündigte Verfassungsklage gegen Angela Merkels Atomgesetznovelle an. Im Auftrag des Gorlebener Salzstockeigentümers Andreas Graf Bernstorff will der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen gegen das neue Atomrecht nicht nur nach Karlsruhe, sondern auch vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Und die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges kritisierten den Gesetzentwurf, der gestern vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, schlicht als „Lex Siemens“.

Anlaß für den Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett gestern auf den parlamentarischen Weg gebracht hat, ist vorgeblich eine EU-Richtlinie aus dem Jahre 1992 zur Verbesserung der Kontrolle radioaktiver Abfälle. In Wahrheit allerdings hat Merkel einen Katalog von Änderungen vorgelegt, der keinen aktuellen Wunsch der Atomindustrie ausläßt. Der Elektro-Multi Siemens, der als einziges deutsches Unternehmen Atomtechnologie noch vorantreiben will, kann sich über das neue standortunabhängige „Prüfverfahren für Weiterentwicklungen der Sicherheitstechnik“ freuen. Es ist direkt auf den Europäischen Druckwasserreaktor zugeschnitten, den Siemens gemeinsam mit der französischen Framatome entwickelt. Einmal zugelassen, können Bürger an geplanten Standorten nur noch sehr eingeschränkt gegen den neuen Reaktortyp klagen.

Gleich eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen betrifft die Entsorgung der bereits laufenden Reaktoren. Die Betriebszeit des aus der DDR ererbten Endlagers Morsleben soll um fünf Jahre bis 2005 verlängert werden.

Den Weg für das Endlager Gorleben sollen speziell auf den renitenten Grafen Bernstorff zugeschnittene Enteignungsklauseln freimachen. Bisher gibt es im Bundesberggesetz keine Rechtsgrundlage für eine Enteignung zum Zwecke von Endlagerbau oder -erkundung. Der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen spricht deswegen nicht nur von einem „Maßnahmegesetz“, das verfassungswidrig speziell auf einen Einzelfall, auf die privaten Salzrechte in Gorleben, zugeschnitten ist. Seiner Ansicht nach verletzt der Entwurf auch europäisches Recht, da er die EU- Richtlinie von 1992 nicht wirklich zu nationalem Recht mache, sondern nur die Voraussetzung für die Umsetzung durch eine Verordnung schaffen wolle. Ausgebremst werden soll mit Merkels Entwurf auch die Salinas Salzgut GmbH, die neben den Gorlebener Endlagerschächten kommerziell Steinsalz gewinnen will. Merkels Entwurf sieht zur Sicherung der Endlagererkundung eine neue „Veränderungsperre“ vor, mit der bis dreißig Jahre lang in der Umgebung „die Standorterkundung erschwerende Veränderungen“ untersagt werden können. Der Entwurf verfünffacht darüber hinaus die Mengen an Kernbrennstoff, die in Fässern mit schwach- oder mittelaktivem Atommüll enthalten sein dürfen.

Für die bestehenden Kernkraftwerke droht mit dem neuen Gesetz außerdem die lebensverlängernde Rundumerneuerung: Bei Veränderungen an bestehenden AKWs, die der Verbesserung der Sicherheit dienen sollen, können die Betreiber künftig hinter dem heutigen Stand der Technik zurückbleiben.