"Unser Ziel ist Khartum"

■ Im Sudan rückt die Guerillabewegung "Sudanesische Volksbefreiungsarmee" (SPLA) weiter vor. Ihr Führer John Garang über den Bürgerkrieg und seine Pläne für das Land

taz: Die SPLA verzeichnet in letzter Zeit größere Geländegewinne. Was sind Ihre Ziele? Ist die Einnahme von Juba, der größten Stadt im Südsudan, jetzt Ihr Hauptziel?

John Garang: Wir haben Juba von allen Seiten eingekreist. Bereits vor fünf Jahren hatten wir Juba angegriffen, aber damals konnten wir den Nil nicht überqueren. Heute sind wir an beiden Nilufern nahe an Juba herangerückt. Juba ist ein Hauptziel, aber wir haben auch andere Ziele: Wau, Malakal, Kassala, Port Sudan – und natürlich die Hauptstadt Khartum. Wir führen einen koordinierten Krieg zusammen mit der „Nationaldemokratischen Allianz“ (NDA) im Norden des Sudan und haben als Verbündeten die politische Situation in Khartum selbst.

Anfang der 90er Jahre sah es so aus, als ob Sudans Regierung den Krieg gewinnen könnte. Nun hat sich das Blatt gewendet. Warum?

Wir haben innerhalb der SPLA vieles verändert und die Bewegung verjüngt. 1994 trennten wir die zivile von der militärischen Organisation, um unser Militär zu professionalisieren. Dann fanden wir 1995 neue Verbündete, was es uns ermöglichte, eine Front im Osten des Landes zu eröffnen.

Sind Sie zu einem Waffenstillstand bereit?

Wir haben 1994 die Grundsatzerklärung der IGADD (ostafrikanische Regionalorganisation, die im Sudan vermittelt – d.Red.) unterzeichnet, die besagt, ein Waffenstillstand ist Teil einer Gesamtregelung des Konflikts. Damit haben wir das Prinzip des Waffenstillstands akzeptiert. Die Regierung ist dann aber vom Verhandlungstisch weggelaufen und hat im April 1997 mit ihren Verbündeten im Südsudan einen eigenen Vertrag geschlossen, also mit sich selbst. Das nenne ich politische Masturbation. Ich kann keinen einseitigen Waffenstillstand erklären, solange die anderen Punkte der IGADD- Erklärung nicht erfüllt sind.

Sind Sie überhaupt zu Verhandlungen bereit?

Die Regierung ist vom Verhandlungstisch weggerannt und hat versucht, uns zu besiegen. Sie hat das nicht geschafft. Deshalb kommt die Regierung jetzt wieder zum Verhandlungstisch zurück. Wir nehmen die Verhandlungen wieder auf, wo sie 1994 unterbrochen wurden.

Sudans Regierung beschuldigt Eritrea und Uganda, Sie zu unterstützen.

All das stimmt nicht. Ich sah einmal eine Karikatur von mir, wo ich ein Kreuz auf der Brust hatte und woanders den Davidsstern... Im Ernst: Es ist möglich, daß viele unsere Sache unterstützen, was verständlich ist, denn wer könnte sich gegen eine gerechte Sache wehren? Diplomatische Unterstützung ja, aber materielle nein.

Aber Sie können nicht bestreiten, daß in Afrika etwas Neues im Gang ist. Eine neue Generation von Führern hat zum Beispiel Mobutu in Zaire aus dem Sessel gehoben. Sie gehören auch zu diesen Führern. Sie haben mit Ugandas Präsident Yoweri Museveni zusammen in Daressalam studiert...

Sie stellen wieder eine Theorie auf. Unser Krieg begann 1955, als Museveni und ich noch Schuljungen waren. Der Krieg dreht sich um fundamentale Probleme, die über einzelne Individuen hinausgehen. Unser neuer Sudan hat mit Kabila oder Museveni nichts zu tun. Es gibt keinen Zusammenhang, auch wenn es möglicherweise Ähnlichkeiten gibt.

Wenn Sie den Krieg gewinnen – wird es zwei getrennte Staaten geben, Nord- und Süd-Sudan?

Der Staat im Sudan beruhte immer auf zwei Parametern: Arabismus und Islamismus. Das entspricht nicht unserer Realität. Wir sind eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft. Bisher setzen wir uns für einen geeinten Sudan ein, der auf Gerechtigkeit und Gleichheit beruht.

Aber der Norden und der Süden des Sudan erscheinen wie zwei verschiedene Welten.

Die Leute sprechen immer von einem arabischen Norden und einem afrikanischen Süden. Das ist eine arge Vereinfachung. Der Norden kommt ohne den Süden nicht aus. Wenn der Süden sich abspaltet, würde er sich mit den Nuba- Bergen (Zentralsudan) abspalten, und dann würde Darfur im Westen auch gehen und Völker im Ostsudan auch. Die einzige Lösung ist, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Daß der Sudan verschiedene Kulturen vereint, ist nicht einzigartig. Andere Nationen behandeln ihre Vielfalt eher als Reichtum denn als Störfaktor. Wir versuchen, die Größe und Vielfalt unseres Landes zu vereinen. Wenn das nicht klappt, ist small auch beautiful. Interview:

Andrea König, Nairobi