Noch bleibt NS-Unrecht Recht

■ Justizministerium dementiert baldige Gesetzesvorlage

Berlin (taz) – Liegt es am 53. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli, daß man gerne positive Nachrichten verbreitet? Fakt ist: Die gestern von fast allen Medien verbreitete Nachricht, daß das Bundesjustizministerium die NS-Unrechtsurteile bald „pauschal“ aufheben will, ein Entwurf gar schon vorliege, ist falsch. „Ich sage keinen Ton mehr, es wird ja sowieso alles vom Konjunktiv in den Indikativ verdreht“, empörte sich gestern der Sprecher des Bundesjustizministers, Peter Kukatzki. Einen aktuelleren Sachstand als den, den Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) am 26. März 1997 verbreiten ließ, gebe es nicht. In dieser Erklärung hatte er die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Regelungen im Umgang mit den NS-Unrechtsurteilen beklagt und daraus gefolgert: „Das ist eines Rechtsstaats unwürdig. Jetzt ist der Bundesgesetzgeber gefordert, dem ich in Kürze Regelungen vorschlagen werde, mit denen die dringend notwendige Klarheit geschaffen werden kann. Urteile, die auf spezifischem NS-Unrecht beruhen, dürfen heute auch formell keinen Bestand mehr haben.“ Als Beispiel, warum eine bundesgesetzliche Initiative zur Rehabilitierung von NS-Unrechtsurteilen überfällig sei, nannte Schmidt-Jortzig die „Willkürurteile etwa des Volksgerichtshofes“ gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli.

Von einer „pauschalen“ Aufhebung aller politischen Urteile durch ein „NS-Schlußgesetz“, und dies auch noch in Kürze, kann also nicht die Rede sein. „Wir arbeiten am Thema“, so Kukatzki, „sind aber noch längst nicht so weit, einen Entwurf vorlegen zu können.“ Derzeit gebe es noch nicht einmal einen Referentenentwurf oder politische Vorabsprachen zwischen den Koalitionspartnern.

Völlig unklar bleibt also noch, für welche Rechtsbereiche ein „NS-Schlußgesetz“ in Frage kommen könnte. Während die konservative Mehrheit im Bundestag sich wahrscheinlich auf die posthume Rücknahme von Todesurteilen durch den Volksgerichtshof, von bestimmten NS-Strafgerichten und Nazi-Spruchkammern einigen könnte, ist eine generelle Kassation von NS-Urteilen gegen Deserteure mehr als fraglich.

Denn auch nach der Entschließung des Bundestages im Mai vorigen Jahres gelten Urteile der Wehrmachtsjustiz als Rechtens, wenn beispielsweise Oppositionelle wegen „Feigheit“ verurteilt worden sind. Darauf wiesen gestern der bündnisgrüne Abgeordnete Volker Beck und die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz hin. Auch ein Eingeständnis, daß die Urteile von Gesundheitsgerichten für Zwangssterilisationen und gegen Homosexuelle spezifisches Nazi-Unrecht waren, steht in den Sternen. Bis heute werden sie nicht als Opfer des NS- Systems anerkannt, geschweige ihnen eine Entschädigung zugesprochen. Anita Kugler