Konzerne reif für die Insel

Für deutsche Unternehmen ist Großbritannien der drittgrößte Markt weltweit. Hohe Gewinne ziehen mehr als billige Arbeitsplätze  ■ Aus Edinburgh Toralf Staud

Andrew Fraser jubelt unverhüllt, wenn er über deutsche Investitionen in Großbritannien spricht: „Deutsche Unternehmen investieren bei uns mehr als in jedem anderen Land der Welt“, freut sich der Chef des „Invest in Britain Bureau“ (IBB). Rund 35 Milliarden Mark flossen in den letzten zehn Jahren auf die Insel. Allein 1995 waren es 10,6 Milliarden, 58 neue Projekte zählte die staatliche Wirtschaftsförderungsagentur.

In einer IBB-Broschüre werden die Lohnkostenvorteile genüßlich ausgebreitet: Wer hundert Leute in Deutschland anstellt, müsse dafür 6,3 Millionen Dollar pro Jahr ausgeben, in Großbritannien kosteten ebenso viele Mitarbeiter nur 2,9 Millionen. Der Stundenlohn ist nicht der größte Brocken: Vor allem die Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge sind niedriger, Krankenkassenbeiträge fallen überhaupt nicht an.

Die Liste der deutschen Investoren ist lang: Gerade erst im Mai eröffnete Siemens seine Chipfabrik, wozu selbst die Queen ins nordenglische Newcastle reiste. Die Siemens-Tochter Osram will eine Fabrik bei Manchester erweitern und die Lampenproduktion aus Berlin dorthin verlegen. Bosch und BMW, BASF und Hoechst sind ebenso aktiv wie Wella und SAP. Aber auch kleinere Unternehmen haben den Sprung über den Ärmelkanal gewagt: So siedelte sich der Autozulieferer Freudenberg vor sechs Jahren nahe der Nissan-Fabrik an.

Nicht nur die Lohnkosten sind der Grund für die Investitionen: In einer Umfrage der Deutsch-Britischen Handelskammer (DBH) verwiesen nur 18 Prozent der Firmen darauf. 83 Prozent wollten dagegen ihren Marktanteil erhöhen. „Großbritannien ist der zweit- bis drittgrößte Markt für Deutschland weltweit“, sagt Bernd Atenstaedt, stellvertretender Geschäftsführer der Handelskammer. Es sei erheblich leichter, Produkte abzusetzen, wenn man im Land produziere und Arbeitsplätze schaffe.

Rund 1.500 deutsche Unternehmen beschäftigen in Großbritannien 165.000 Menschen. Diese Zahl sagt jedoch wenig über Jobs, die aus Deutschland ins Königreich verlagert wurden. So fließen die 36.000 Arbeitsplätze bei Rover in diese Rechnung ein, seitdem BMW den englischen Autobauer übernommen hat. Laut Atenstaedt sind „80 Prozent reine Verkaufs- und Service-Niederlassungen“.

Ähnlich aussageschwach über Arbeitsplätze sind die Milliardeninvestitionssummen. Jede Übernahme einer bereits existierenden britischen Firma durch ein deutsches Unternehmen taucht in der Statistik auf: Siemens erwarb den Turbinenbauer Parsons, Bosch den Mobilfunkbetreiber Dancall Telecom und den britischen Marktführer für Rasenmäher, Atco Qualcast. Die WestLB kaufte das Broker-Haus Panmure Gordon, die Dresdner Bank übernahm Kleinwort Benson, die Deutsche Bank schluckte Morgan Grenfell. Auch die 8 Milliarden Mark deutscher Immobilienfonds verbucht die Regierung unter ausländischen Investitionen. Doch zählt man nur „effektive Investitionen“, bleibt von den 35 Milliarden nur rund ein Drittel übrig, schätzt Atenstaedt.

Besonders schätzen die deutschen Investoren die „Flexibilität“ der Arbeitskräfte: Der Kündigungsschutz ist schwach, Betriebsräte fehlen. Gesetzliche Mindestlöhne, Arbeitszeitbegrenzungen und einen Urlaubsanspruch gibt es nicht. „Wir haben in Großbritannien viel bessere Voraussetzungen zur Nutzung unserer Produktionsanlagen“, sagt Hermann Scholl, Konzernchef von Bosch. Im Werk für Autolichtmaschinen, das für über 350 Millionen Mark in Südwales entstand, gelten flexible Arbeitszeiten: Die Beschäftigten arbeiten an zwei Tagen hintereinander zwölf Stunden, danach haben sie zwei Tage frei. Scholl schwärmt: „Die Maschinen können sieben Tage die Woche laufen.“ Außerdem hätten die Briten neun Arbeitstage pro Jahr mehr und seien weniger krank.

Siemens – mit rund 14.000 Arbeitsplätzen und 14 Werken nach BMW/Rover der zweitgrößte deutsche Arbeitgeber – ist ebenfalls voll des Lobes: Gute Infrastruktur, Millionensubventionen des Staates und kurze Genehmigungsverfahren. Nach nur vier Wochen sei die behördliche Seite der Chipfabrik geklärt gewesen. Kein Wunder, sind doch die Umweltvorschriften lascher als in Deutschland. Und die Steuern natürlich, sagt Bernd Atenstaedt, die seien in Großbritannien erheblich niedriger. Für Unternehmensgewinne gelte ein Höchstsatz von 33 Prozent, bei der Einkommenssteuer seien es maximal 40 Prozent.

Folgerichtig gab fast ein Fünftel der Unternehmen bei der DBH- Umfrage an, die Nettogewinnspanne sei Grund für die Investition gewesen. „Sechs bis sieben Prozent Nettoprofitmargen sind hier normal“, meint Atenstaedt. „Es lohnt, in Großbritannien zu arbeiten, weil man verdienen kann.“ Jedenfalls als Unternehmer.