Glückliche Hühner

■ Schluß mit der Tierquälerei, fordern die Tierschützer. Doch für die lautstarke Lobby der Käfighaltung kommen die besseren Eier nach wie vor aus den Legebatterien Von Gudrun Giese

Glückliche Hühner

Ob die Legehenne Trixi glücklich ist, weiß vermutlich nicht einmal sie selbst. Doch daß sie auf Heinrich S.' Hühnerhof ein artgerechtes Leben führen kann, das steht fest. Zwanzig Hennen und einen Hahn nennt der Hühnerfan sein eigen. Viel Auslauf im großen Garten steht zur Verfügung, ein trockenes und geschütztes Nachtlager mit Holzstangen zum Sitzen, eine ganze Reihe von Legenestern, die stets mit frischem Stroh gepolstert sind, ebenfalls. Natürlich decken die Hühner den Eierbedarf der Familie S. vollauf ab; sogar die Nachbarn werden regelmäßig mit einem Zehnerpack frischer Landeier bedacht.

Unter den zwanzig Milliarden Eiern, die die Bundesbürger jährlich konsumieren, fallen allerdings die hobbymäßig produzierten praktisch nicht ins Gewicht. Obwohl die VerbraucherInnen es besser wissen könnten, sitzen viele immer wieder den Werbetricks der Eiervermarkter auf: Pickende Hennen, abgebildet auf den Kartons, suggerieren Landidylle pur. Die, die sich besser auskennen, greifen bewußt zum Karton mit dem Aufdruck „Bodenhaltung“ oder „Freilandhaltung“, zahlen zwei Pfennig mehr pro Ei – und glauben, sich freigekauft zu haben von ihrem schlechten Gewissen.

Eine Befragung im Auftrag des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft zeigt, daß viele VerbraucherInnen arg romantische Vorstellungen von der Hühnerhaltung haben. „Bei Freiland- oder Bodenhaltung stellen sie sich Höfe mit maximal fünfzig Hennen vor“, sagt Siegfried Hart, Geschäftsführer des Zentralverbandes. De facto finden sich aber auch in den meisten Boden- und Freilandhaltungen mehrere tausend Legehennen. Oft existieren verschiedene Haltungsformen nebeneinander in einem Betrieb: Hier die Hallen mit Käfigen, dort die für die Bodenhaltung und obendrauf ein Areal für die Freilandhaltung.

Der Zentralverband der Geflügelwirtschaft steht vor allem für eins: für eine Fortsetzung der Käfighaltung. Für die Eihygiene sei das optimal, heißt es bei dem Verband. Die Verschmutzungen der Eier mit keimbelastetem Kot könnten so minimiert werden. Kein Wunder, daß hier die Fahne der Käfighaltung weiterhin hochgehalten wird: Immerhin rund neunzig Prozent aller in der Bundesrepublik produzierten Eier – rund 13,4 Milliarden – kommen aus Käfigbatterien.

Bei der Eiqualität hat die Käfiglobby auch einen Teil des wissenschaftlichen Sachverstands hinter sich: In der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, Institut für Kleintierforschung, im niedersächsischen Celle ist man so überzeugt von der mikrobiologisch hochwertigen Qualität der Käfigeier, daß man sich heute noch auf Untersuchungen aus den 60er bis 80er Jahren beruft. Damals kamen Wissenschaftler zu dem Ergebnis, daß in Boden- und Freilandhaltung mehr Eier kotverschmutzt und damit auch stärker mit Salmonellen und Coli-Bakterien belastet waren als Eier aus Käfighaltung, in der das Ei nach dem Legen sofort auf ein Transportband fällt. Noch heute berufen sich Verfechter der Käfighaltung auf diese Studien. Der Zentralverband setzt dem Ganzen die Krone auf, indem er sogar versucht, Käfighaltung als tiergerecht zurechtzudrehen. Der Beweis: „Wenn sich die Hühner in den Käfigen wirklich nicht wohl fühlten, würden sie nicht freiwillig so viele Eier legen.“

Beim Deutschen Tierschutzbund weist man solche Rückschlüsse zurück. „Die Legeleistung von durchschnittlich 270 Eiern je Huhn und Jahr ist kein Beweis dafür, daß sich die Hennen wohl fühlen, sondern lediglich das Ergebnis einer ausgeklügelten Zucht und Fütterung.“ Eindeutig ist nach Einschätzung der Tierschützer, daß Käfighaltung den Hennen ihr hühnermäßiges Verhalten unmöglich macht. Denn selbst die hochgezüchtetste Legehenne scharrt gerne im Erdreich. In den typischen, 40 mal 45 Zentimeter großen Käfigen jedoch stehen vier Hennen auf abgeschrägten Drahtrosten, verletzen sich Beine und Flügel und gehen aufeinander los. Barbara Rempe vom Tierschutzbund wirft den Wissenschaftlern vor, daß sie sich bis heute auf veraltete Daten stützen würden. Zudem seien schlechtgeführte Boden- und Freilandbetriebe mit vergleichsweise ordentlichen Käfighaltungen verglichen worden.

In der Schweiz ist die Käfighaltung bereits seit 1993 verboten. Schweden will mit einer entsprechenden Regelung nachziehen, und im Europäischen Parlament fordern Grüne und Sozialdemokraten unisono ein Verbot der Käfighaltung. Schon Anfang 1993 sollte die EU-Kommission eigentlich einen Bericht zur Lage der Hennen in Europa fertiggestellt haben. Doch erst nach mehrfachem Nachhaken präsentierte im Oktober 1996 der Wissenschaftliche Veterinärausschuß der EU- Kommission ein Papier über das „Wohlergehen von Legehennen“. Die Kommission hat sich jedoch bisher nicht dazu geäußert.

Immerhin kam der Ausschuß zu dem Schluß, daß Käfighaltung „infolge des geringen Platzes und der Reizarmut schwere systembedingte Nachteile für das Wohlergehen der Tiere darstellt“. Aber auch alternative Haltungssysteme kommen in dem Gutachten nicht gut weg: Das Infektionsrisiko steige, außerdem gingen die Hennen in Boden- und Freilandhaltung häufig aufeinander los.

Für die Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt (SPD) gibt der Bericht Anlaß genug, die Weiterentwicklung von alternativen Haltungssystemen zu fordern. Ein Verbot der Käfighaltung reicht ihr nicht aus. „Wir müssen insgesamt von der industrialisierten Nutztierhaltung wegkommen.“ Betriebe, in denen einige tausend Tiere in Boden- oder Freilandhaltung leben, sind nicht weniger industrialisiert durchorganisiert als die Käfigfabriken.

Die Alternative, Eierproduktion ausschließlich in kleinbäuerlichen Hobbybetrieben, ist allerdings unrealistisch. Bei einem durchschnittlichen Eierkonsum von 224 Stück pro Bürger und Jahr (1996) und einem – als artgerecht angesehenen – Flächenbedarf von rund zehn Quadratmetern für jedes der rund 70 Millionen bundesdeutschen Hühner müßten 70.000 Quadratkilometer der Republik künftig für die Hennenhaltung genutzt werden – annähernd ein Fünftel des Landes.

Ohne Kompromisse geht es offenkundig nicht. Einer lautet, daß man einem Teil der Hühner weiterhin weniger als zehn Quadratmeter Fläche gönnt. Der Tierschutzbund etwa hält neben der extensiven Freilandhaltung auch die Bodenhaltung für tragbar, in der sich sieben Hennen einen Quadratmeter Stallfläche teilen müssen. Auslauf solle jedes Huhn haben, im Zweifelsfall reiche aber auch ein halber Quadratmeter pro Tier. Noch wichtiger aber wird es sein, daß der Eierverbrauch zurückgeht. Denn viele Eier von „glücklichen“ Hühnern – und die dann auch noch zu einem günstigen Preis –, das läßt sich nicht unter einen Hut bringen.