Wo die Reichen dezent umsorgt werden

Intimität, Luxus und ein wenig Biederkeit. Das „Vier Jahreszeiten“wird 100  ■ Von Christine Holch

Der Samovar dampft, aus rotbezogenen Sesseln ertönt leises Plaudern, darüber liegt sanftes Klavierspiel. Das Kärtchen auf dem Tisch bittet darum, vom Gebrauch des Mobiltelefons Abstand zu nehmen. Die Lounge des Hotels „Vier Jahreszeiten“am Neuen Jungfernstieg verbreitet weder Glamour noch Hektik. Dafür viel englische Landhausgemütlichkeit.

Ein Kellner in bodenlanger Schürze schnürt heran, kredenzt den bestellten Orangensaft und stellt ein Schälchen gesalzener Nüsse daneben. „Sehen Sie, auch das ist Wohlwollen“, sagt Empfangschef Gernot Freyler, „Wohlwollen ist unsere Philosophie.“Chrt, Chrt, Chrt – der Kellner schnürt wieder davon. Angeblich soll Firmengründer Friedrich Haerlin die engen, bodenlangen Schürzen eingeführt haben, um den Schritt der Kellner zu mäßigen. Eine kleine Anekdote. „Eine Schürze brauchen Sie im Service, aber eine Schürze nur bis zu den Knien wäre unelegant“, erklärt Gernot Freyler.

Das Fünf-Sterne-Hotel feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Und es kann sich gratulieren lassen: Hotelführer werten das „Vier Jahreszeiten“immer wieder als bestes deutsches Stadthotel. Und seit 1994, als Stefan Simkovics die Direktion übernahm, ist die Zimmerauslastung wieder auf rund 60 Prozent gestiegen. Man sei jetzt „noch gastbezogener“, sagt Freyler. Konkret? „Wir haben einen exquisiten Suitenservice entwickelt.“

Der Empfangschef öffnet leise die Tür zu einer Suite: „Die ist für einen VIP vorbereitet.“An der Decke ein Lüster, an der Wand ein gülden umrahmter Spiegel, Sofa und Sessel im Biedermeierstil. „Fällt Ihnen was auf?“fragt Gernot Freyler erwartungsvoll. Nun ja, das Arrangement auf dem Tisch: ein Teller mit Trauben und Pflaumen, daneben Fingerschale, Pralinen, Begrüßungsbrief... Herr Freyler sagt es selbst: Die Wohnzimmeratmosphäre. Nichts soll den Gast daran erinnern, daß er nur in einem Hotel ist.

Noch eine Tür: das Bad. Mosaikfischchen auf den Kacheln. Das Design der 60er. 1989 kaufte der japanische Bauunternehmer Hiro-yoshi Aoki das Hotel. In ein, zwei Jahren soll es Geld geben für die Renovierung ganzer Etagen. Die Stärke des „Vier Jahreszeiten“liegt in den Augen von Hoteltestern aber weniger in der Ausstattung als in der sogenannten „Software“, dem Personal. „Kaiserservice“nennt das Hotel seinen Personalschlüssel von 275 Angestellten auf 162 Zimmer. Suitenvollzahler können für 1.600 Mark denn auch was erwarten: Da hilft die Hausdame beim Auspacken, bügelt verdrückte Kleidung auf, bietet auf einem Tablett verschiedene Duschgels an: von Chanel oder auch tierversuchsfrei.

Aber auch das billigste Doppelzimmer (475 Mark inklusive individuelles Frühstück ans Bett) wird des Abends „abgedeckt“: Bettdecke zurückgeschlagen, Frotteevorlagen ausgerollt, Bad überholt, „Küßchen“auf den Nachttisch, Telefon umgestöpselt zum Bett.

Von der ganz besonderen Zuwendung aber zeugen andere Details: Da ist in den Glockenschirmen der Nachttischlampen ein Segment offen, für mehr Licht beim Lesen im Bett; da werden Getränke auf einem lederbezogenen Tablett serviert, damit niemand durch Klirren gestört wird; und da stehen zwar Champagner und Bier in der Minibar, nicht aber Schnäpse und Erdnüsse. „Aus moralischen Gründen“, sagt Gernot Freyler: „So ein Schnaps ist schnell geleert, eine Champagnerflasche aufzumachen, überlegt man sich schon eher. Und Erdnüsse animieren zum Trinken.“

Und dann gibt es da noch die Kartei über die Wünsche von rund 15.000 Stammgästen: Welches „Einschlafbuch“bereitliegen soll, wie hart die Matratze, wie hoch die Temperatur der Wärmflasche zu sein hat, Anzahl der Kopfkissen, Themen, die keinesfalls anzusprechen sind, und daß das Bett nicht freistehen darf. Ein Kompendium menschlicher Eigenarten, Schwächen und Eitelkeiten.

Fällt es nicht manchmal schwer, bestimmte reiche Leute zu mögen? „Aber nein“, sagt Gernot Freyler, „Menschen, die es zu etwas gebracht haben, sind im Umgang sehr einfach und sehr verständnisvoll. Und Sie müssen dem Gast das, was er hat, auch gönnen.“

So jung und unverkrampft das Personal auch ist, das Hotel strahlt eine gewisse Biederkeit aus. Wie will man Jüngere werben? „Ach“, meint der Empfangschef gelassen, „der jüngere Mensch will doch eigentlich keinen Luxus. Außerdem will er lieber Anonymität, nicht das Frühstück mit allem Zeremoniell aufs Zimmer.“Aber mit den neuen Musical-Arrangements ziehe man auch Jüngere an.

Neulinge müßten keine Schwellenangst haben: „Wenn Sie sich normal benehmen, können Sie sich doch gar nicht danebenbenehmen.“Nur, was heißt normal? Der Krawattenzwang ist zwar abgeschafft (außer abends im Restaurant), nicht gern gesehen werden jedoch Turnschuhe, Eistüten, Hunde und Shorts. „Hier sind im letzten Sommer dauernd eisschleckende Touristen durchgewandert, die haben unsere Gäste erschreckt.“

Auch die zehn Motorradfahrer, die in voller Ledermontur frühstücken wollten, mußten wieder abdrehen. „Wir haben ihnen ein Zimmer angeboten, wo sie sich hätten umziehen können. Das wollten sie nicht.“Der Empfangschef zuckt die Schultern. Schließlich lehnt man auch Filmaufnahmen im Haus ab. Eine 007-Folge wie im Atlantic? Schwer denkbar. „Das würde die Gäste stören.“

Wer mal reinschnuppern möchte: Eine große Tasse Kaffee mit Keksen kostet 5 Mark; der High Tea in der Wohnhalle (15-18 Uhr) mit Fingersandwiches, Scones, Schlagsahne, Petit Four kostet 32.50 DM. (Im Herbst sind Vorbestellungen nötig 3494644)