ÖTV und DAG wollen vorgezogene Tarifrunde

■ Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollen vor Ablauf des geltenden Tarifvertrags verhandeln. Lohnverzicht bei Zusage neuer Arbeitsplätze ist möglich

Berlin (Reuter/taz) – Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden voraussichtlich vorgezogen. Die nächste Tarifrunde für die 3,2 Millionen Angestellte und Arbeiter war für das Frühjahr 1998 vorgesehen. Herbert Mai, Chef der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), begründete die gemeinsame Initiative mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) mit der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit. In Stuttgart sagte er, eine Wende auf dem Arbeitsmarkt sei nicht abzusehen. „Auch die Tarifparteien haben in diesem Bereich Verantwortung für den Arbeitsmarkt.“ Im Mittelpunkt der Verhandlungen soll der Erhalt des gegenwärtigen Stellenvolumens stehen. Die Gewerkschaftsführung kündigte an, sie werde ihr Hauptaugenmerk auf die Verkürzung der Arbeitszeit legen. Ziel sei die 35-Stunden-Woche. Bei einer Arbeitszeitverkürzung sind die Gewerkschaften unter Umständen bereit, auf Lohnzuwächse zu verzichten. Nach ihren Vorstellungen sollten die Arbeitgeber sich tariflich dazu verpflichten, neben beschäftigungssichernden Maßnahmen auch neue Arbeitsstellen zu schaffen.

In diesem Zusammenhang verwies ÖTV-Pressesprecher Erhard Ott gestern gegenüber der taz auf einen Konzerntarifvertrag, den die PreussenElektra unlängst abgeschlossen hat. Dort begnügen sich die Arbeitnehmer mit einer einmaligen Lohnzahlung von 400 Mark, ihre Arbeitszeit verringert sich um zwei Stunden. Im Gegenzug sichert der Konzern 400 neue Dauerarbeitsplätze zu. In der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes dürfte die Arbeitszeitverkürzung zur Schlüsselfrage werden. Derzeit setzen die Arbeitgeber noch auf eine Arbeitszeitverlängerung. Zudem wollen sie die gesetzlich vorgesehene 80prozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen. Für die Gewerkschaften kommt dies aber nach Auskunft Otts nicht in Frage.

Der Vorschlag der Gewerkschaften wurde von seiten der Arbeitgeber positiv aufgenommen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, beide Parteien sollten sich ohne Vorbedingungen nach der Sommerpause zusammensetzen. Die Verhandlungen dürften sich sehr schwierig gestalten. Denn die Gewerkschaften fordern auch eine Absenkung der Arbeitszeit im Osten auf 38,5 Stunden bei vollem Lohnausgleich. In der nächsten Runde wird zudem über Arbeitszeitkonten, das Umwandeln von Zuschlägen in Freizeit und über die Altersteilzeit verhandelt. Kölns Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier (SPD) sagte, der Vorschlag der vorgezogenen Tarifrunde sei nicht ohne Charme. Allerdings könne sich der öffentliche Dienst zusätzliche Personalkosten nicht leisten. „Die Haushalte sind ausgemolken bis zum Gehtnichtmehr“, bemerkte er. roga