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Kleine Kinder zum Frühstück

■ Geste und Blicke der Zwillinge : Das Metropolis zeigt Lilly Grotes behutsame Initiationsgeschichte Daily Chicken

Ein Dorf nicht weit vom „Himmelsmoor“. Doch von Himmel und Erlösung keine Spur. Sumpf, wo die Kamera (Elfi Mikesch) auch hinschaut, ganz gleich, welche Schrankwand sie öffnet, welche Teppichecke sie lupft. Und das gute Gewissen hinter den Tüllgardinen ist nun mal seit jeher eine besonders miese Gegend.

Lillys Grotes Daily Chicken erzählt von den pubertierenden Zwillingen Marie und Maya. Von ihren Träumen, von ihrer Neugier und von ihrem langsam keimenden Mißtrauen gegen jeden, der nur das Beste für sie will. Ihre Mutter, seit einem Unfall ins komatische Zwischenreich verbannt, hat in der Hühnerfabrik des Ortes, einem fordistischen Fossil, gearbeitet. Und wenn das kopflose Geflügel wie nasse Socken von den rotierenden Fleischerhaken baumelt, reiht sich die Verwertungsmaschinerie wunderbar in den bizarren Zeitfluß des verwunschenen Ortes. Die Menschen hier haben nicht mehr viel vor. Eine Einkaufsfahrt in die nächste Stadt reicht als Konsum-erlebnis für Wochen. Und bei den Älteren mischt sich nur selten ein Stoßgebet auf ein prickelnderes Dasein durch den Dunst von kochenden Kartoffeln und Hähnchenfett.

Der einzige Mann mit interessanter Vergangenheit ist ein von bösen Zungen ernannter Dorfpsychopath. In irgendeinem Krieg soll der Fremdenlegionär Theo kleine Kinder gefrühstückt und Frauen geschändet haben. Einer muß es ja gewesen sein. Theos vermeintlich grausame Energie paßt in Maries erstes anarchisches Stemmen gegen diesen Kleinstaat. Und die Geschichte will es, daß Theo dem Mädchen immerhin ein Steinchen der Weisen vor die Füße legt, kennt er doch den Fahrerflüchtigen, der ihre Mutter ins Koma befördert hat.

Lilly Grote erzählt die Initiation der Schwestern in wackeliger Balance zwischen kunstgewerblicher Betulichkeit, mit der sie das bedeutungswillige Schimmelszenario in der verwaisten Küche inszeniert, und einem behutsamen Blick auf die Interimsrebellion gegen alle Sortiersysteme der Erwachsenen. Mädchengedanken zwischen Schwimmbad- und Badezimmergesprächen. Nichts Aufregendes, nur viele Gesten und Blicke. Doch gerade hier skizziert der Film am leichthändigsten die schauerliche Kanalisation unter der Provinzialität, in der giftspritzende Gerüchte neben hausgemachten Kellerleichen mit Kantenschlag in den Orkus der Wohlanständigkeit gezwängt werden.

Birgit Glombitza Do, 24. Juli, 21.15 Uhr,Metropolis

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