Die Zukunft: Ein schöner Job

80 junge, helle Köpfe entwerfen während einer Zukunftswerkstatt bei Siemens, wie die Stadt im Jahr 2020 aussehen soll. Neben dem Visionieren suchen die Nachwuchsfuturisten eine Stelle, und die Firma erprobt ein Produkt  ■ Von Hannes Koch

Die hellen Köpfe rauchen. So viele Fragen, so wenige Antworten. 80 Nachwuchsfuturisten, zumeist StudentInnen oder frischgebackene AkademikerInnen, brüten auf Einladung von Siemens über Visionen vom Berlin des Jahres 2020. Müssen sich die Menschen des nächsten Jahrtausends mehr miteinander verständigen, weil immer mehr Informationen aus den Datenleitungen auf sie einprasseln? Wie kann man den Autoverkehr reduzieren, ohne ganze Bevölkerungsgruppen von der Mobilität auszugrenzen?

Gerade hat sich die Gruppe „Arbeit und Wirtschaft“ zusammengerauft, um über ihre Träume zu sprechen. Da platzt die Delegierte der Kulturgruppe in die Runde: „Wir können Visionen nicht alleine entwickeln. Was meint ihr: Sollen alle Unternehmen Geld in einen Fonds zahlen, damit man die Kultur finanzieren kann?“ Seufzend nehmen sich die Arbeitsvisionäre also eine Viertelstunde, um die Anforderungen des „interaktiven Netzwerks“, sprich: der Anwesenden, zu erfüllen.

Organisation gefragt

Jetzt kommt auch noch eine Abgesandte der Bildungs-AG dazu. „Zukunft der Unis, lebenslanges Lernen?“ Die großen Fragen lassen die kleine Gruppe erst einmal in zwei Diskussionszirkel zerbrechen. Organisationstalent ist gefragt: Neun Gruppen arbeiten an den Themen Umwelt, Kommunikation, Verkehr, Kultur, Stadtentwicklung und anderen, doch die Einzelergebnisse sollen schließlich ein großes Ganzes ergeben. Wer bekommt welche Information zu welchem Zeitpunkt? Die Zukunftswerkstatt entpuppt sich zugleich als Planspiel in Sachen Informationsmanagement. Einer aus der Wirtschaftsgruppe ist schon auf dem richtigen Dampfer. Nach seinem Betriebswirtschaftslehrestudium will er hoch einsteigen: „Ich möchte komplexe Prozesse steuern und Lösungen entwerfen.“

Aus Anlaß des 150jährigen Firmenjubiläums hat sich Siemens die Veranstaltung etwas kosten lassen. Eine Woche haben die zukünftigen Besserverdienenden – per Anzeige wurden sie gesucht und mittels Fragebögen ausgewählt – Zeit, bei kostenloser Verpflegung in nettem Ambiente herumzuspinnen. Die alte Halle des Kabelwerks in Siemensstadt enthält nun keine Maschinen mehr, sondern Bistrotische, von Bühnenbildnern mit viel Tuch und Metallrohr eingerichtete Sitzecken, Computer mit Zugang zu allen Datenbanken dieser Welt und Grünpflanzen. Siemens-Chef Heinrich von Pierer hat mal ein Stündchen reingeschaut – „er wußte gar nicht, was hier läuft“, sagt ein Skeptiker – und Firmenvisionär Helmut Volkmann ist die ganze Woche präsent.

Blutleere Entwürfe

Idealtypisch erklimmt die Zukunftswerkstatt drei Stufen der Erkenntnis: Bestandsaufnahme der Realität, Traum und Umsetzung in die zukünftige Wirklichkeit. Was am Dienstag in der Visionsphase herauskam, mutete nicht neu an. Auf den Wunschlisten standen immer wieder „Umweltschutz“, „flexible Arbeitszeit“, „Gleichberechtigung der Frauen“. Andere prognostizierten als Zukunftsentwicklungen zunehmende Individualisierung und Beschleunigung. Warum wirken Entwürfe oft so blutleer und uninspiriert? Vielleicht, weil die Ziele längst bekannt sind, ihre Verwirklichung jedoch an betonierten Verhältnissen scheitert.

Sechs Tage also fröhliches In- die-Welt-Gucken und anarchische Kreativität? Zum Teil ja, aber im Vordergrund stand doch etwas anderes: „Ich suche einen Job“, meinte eine 28jährige Wirtschaftsstudentin. Da macht es sich gut, abends als Sprecherin der Arbeitsgruppe auf dem Podium zu sitzen und die Tagesergebnisse zu präsentieren. Siemens-Mitarbeiterin Sabine Knapp-Lohmann beteuert, daß Headhunter ihres Konzerns nicht im Werk unterwegs seien.

Doch in jedem Fall hat das Unternehmen Vorteile. Firmenfuturist Volkmann hat das alte Konzept der Zukunftswerkstatt auf den Stand der Dinge gebracht. Nun heißt es „Xenia“ und dient dazu, Organisationen wettbewerbsfähig, schnell und kreativ zu machen. Siemens modernisiert seine Strukturen, Tochter Nixdorf will das Konzept „Xenia“ samt Moderator verkaufen. Die TeilnehmerInnen sind also Dummies für die Marktreife eines Produkts.