Priebke-Urteil weckt nur gedämpfte Begeisterung

■ Aus den 15 Jahren Gefängnis werden wohl in der Praxis nur 18 Monate

Rom (taz) – Für Roms Oberrabbiner Elio Toaff stellt das Urteil „eine ganz ganz schwarze Seite Italiens“ dar, denn „Gerechtigkeit ist das keine“; für die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Tullia Zevi, „kann man damit schon leben: freilich, lebenslänglich wäre ein deutlicheres Zeichen gewesen, doch im Endeffekt wäre dieser Mörder ja doch in wenigen Jahren auf freien Fuß gekommen“. Die beiden verkörpern die zwei vorherrschenden Grundeinstellungen zum Urteil, das die Revisionsinstanz des römischen Militärtribunals am Dienstag abend gegen die NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke und Karl Hass verhängte: Fünfzehn Jahre für Priebke, zehn Jahre und acht Monate für Hass. Die beiden hatten 1944 in leitender Stelle bei der Exekution von 335 italienischen Geiseln als Repressalie für ein Partisanenattentat mitgewirkt.

Da bei beiden aufgrund „guter Führung seit der Tat“ zehn Jahre Straferlaß gewährt wurden, kam Hass sofort nach dem Spruch frei, Priebke muß wohl noch eineinhalb Jahre absitzen – im Hausarrest in einem schöngelegenen Kloster bei Frascati über Rom. Dieser Umstand hat bei vielen Italienern und besonders bei den Angehörigen der Opfer Enttäuschung ausgelöst. „Nicht einmal einen Tag richtiges Gefängnis“, murrte die Tochter eines damals Erschossenen, und „die Militärs halten doch immer noch zusammen“, urteilt ein Anwalt der Nebenkläger.

Immerhin gewinnen zumindest die meisten Juristen dem Revisionsspruch eine positive Seite ab: Das Gericht, das den vorherigen Freispruch wegen Verjährung der Ersten Instanz korrigiert hat, stellt nun ausdrücklich fest, daß „Kriegsverbrechen niemals verjähren“, und zwar „auch nicht, wenn Befehlsnotstand oder andere mildernde Umstände geltend gemacht werden können“. Dies war auch die Maßgabe des Bundesgerichtshofes gewesen, der das Urteil erster Instanz aufgehoben hatte.

„Niemand wird sich künftig mehr darauf verlassen können, daß darübergewachsenes Gras die Verfolgungsfähigkeit von Kriegsverbrechen tilgt“, betont erfreut Justizminister Gianni Maria Flick, der seinerzeit die Entlassung Priebkes per Eildekret verhinderte, mit Blick auf die Den Haager Prozesse gegen Kriegsverbrecher aus Exjugoslawien. Anderer Meinung ist dagegen Prozeßbeobachter Schimon Samuels vom Wiesenthal-Zentrum in Paris: „Zuerst schienen mir 15 Jahre für Priebke ein durchaus kräftiges Urteil, auch weil der Mann ja schon über 80 ist: Es hätte die Konsequenz von Lebenslänglich gehabt. Doch der Nachlaß und die nun wahrscheinliche Anrechnung der U-Haft reduzieren alles wieder auf eine Art Zeigefinger-Drohgebärde. Der Nachgeschmack bleibt, daß man hier fast genauso wie in der ersten Instanz einerseits moralische Entrüstung zeigen, andererseits faktische Straffreiheit durchsetzen wollte.“

Staatsanwalt Intelisano, der lebenslänglich gefordert hatte und in einem ersten Kommentar keine Absicht auf erneute Revision zeigte, überlegt inzwischen, vielleicht doch noch gegen das milde Strafmaß vorzugehen. Auf jeden Fall richten sich nun erneut die Augen auf Deutschland: Von hier laufen noch Auslieferungsersuchen wegen anderer mutmaßlicher Verbrechen Priebkes. In Kürze soll aus Argentinien, wo Priebke vor drei Jahren aufgegriffen worden war, die Antwort kommen, ob der Ex- SS-Sturmbannführer an Deutschland weitergegeben werden darf, und auch das italienische Verfassungsgericht muß sich äußern.

In Turin bereitet die Militärstaatsanwaltschaft indessen einen weiteren Prozeß um nazistische Greueltaten vor. Gegen den in Deutschland unbehelligt lebenden ehemaligen Hauptsturmführer Theo Sävecke, der 1944 fünfzehn Partisanen hatte erschießen lassen, hat der Staatsanwalt just am Tag des Priebke-Urteils formell Anklage wegen Massenmords erhoben. Werner Raith