Boris Jelzin blockiert Religionsgesetz

Mit einem Veto stoppt Rußlands Präsident den Höhenflug der altkommunistischen Abgeordneten. Die wollten die Aktivitäten kleinerer Religionsgemeinschaften beschneiden  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Am Dienstag legte der russische Präsident Boris Jelzin sein Veto gegen das von der Duma und vom Föderationsrat mit überwältigender Mehrheit verabschiedete neue Gesetz „über Glaubensfreiheit und religiöse Vereinigungen“ ein. Wenn dieser Entwurf durchkäme, hätte nicht einmal Jesus als Gründer einer religiösen Erneuerungsbewegung Chancen, falls er in der Russischen Föderation der 90er Jahre auferstünde. Das Paragraphenwerk will allen Glaubensgemeinschaften die Registrierung versagen, ihnen Immobilienbesitz und die Verbreitung ihrer Texte verbieten, wenn sie nicht schon 15 Jahre lang im Lande aktiv sind.

Nur vier Religionen werden in dem Papier namentlich „verehrungswürdig“ genannt: die russisch-orthodoxe Kirche als „unveräußerlichen Bestandteil des allgemeinrussischen, historischen, geistigen und kulturellen Erbes“, der Islam sowie Judaismus und Buddhismus. Nebulös konzidiert man noch ein paar „anderen, traditionell in der Russischen Föderation beheimateten“ Religionen ein Existenzrecht.

Außer den Ideologen der offiziösen Kirche haben dieses legislative Ei altkommunistische Deputierte ausgebrütet, die sich heute von religiösen Erwägungen so wenig leiten lassen wie vor 15 Jahren, dafür aber von eingefleischtem Hurra-Patriotismus.

Während das Gesetzesprojekt reifte, schlugen als erste die Anhänger diverser US-Sekten Alarm, von denen vor allem die Mormonen in den letzten Jahren eine erfolgreiche Tätigkeit in der Russischen Föderation entfaltet haben. Sie mobilisierten den amerikanischen Senat, der letzte Woche mit großer Mehrheit empfahl, 200 Millionen Dollar humanitärer Hilfe für Rußland zu streichen, falls das Gesetz durchkäme. Boris Jelzin läßt sich von derartigen Erpressungsversuchen gern zu Trotzreaktionen verleiten. Doch dem US- Druck standen noch die ebenso unerbetenen Ratschläge zweier weiterer Vaterfiguren gegenüber. Papst Johannes Paul II. schickte Jelzin einen Protestbrief, in dem er auch für die eigene Kirche eine Extrawurst verlangte und sich darauf berief, daß der Katholizismus in Rußland schon jahrhundertelang existiert. Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Alexij II., ließ sich zu einer seltenen Blüte nationalistischer Rhetorik hinreißen: „Ausländische Sekten und Missionare betrachten Rußland als offenen Raum. Diese Form der Expansion ist der Nato-Osterweiterung vergleichbar.“ Ein Hare- Krishna-Jünger vermutete hinter den Sprüchen der Orthodoxen nur Appetit aufs Eigentum der ausländischen Glaubensgemeinschaften: „Das ist die alte Geschichte vom Hai und den kleinen Fischen.“

Sollte das Veto von der Duma mit einer Zweidrittelmehrheit überwunden werden, kann Jelzin vor Gericht ziehen und sich auf die Verfassung berufen. Darin steht: „Die Russische Föderation ist ein sekulärer Staat. Religiöse Organisationen sind vor dem Gesetz gleich.“