Räucherstäbiges Hippiegehopse

■ Das 68er Musical „Hair“gastiert als obszöne Gymnastikstunde im St. Pauli-Theater

Die Bühne ist voll mit buntgekleideten jungen Menschen. Eine Frau öffnet ihre Hose, ein Mann zeigt seinen weißen Hintern. Es riecht nach Räucherstäbchen.

Wie inszeniert man Hair in den Neunzigern? Man läßt den politischen Ballast und die komplizierte Auseinandersetzung mit der Gesellschaft weg, macht dafür die Musik ein bißchen lauter und nebelt die Zuschauer mit Trockeneis ein, damit sie nicht so viel mitkriegen vom Sparpaket.

Dieser Ansicht ist man jedenfalls im Baseler Scala Theater, das zur Zeit mit dem Flower-Power-Musical im St.Pauli-Theater gastiert. Das 1977 von Milos Formann mit ausgezeichneten Tanznummern verfilmte Musical, verkommt in der schweizer Inszenierung zu einem langweiligen Rock-Abend. Daß Musical-Darsteller nicht schauspielern können, ist leider normal – diese hier aber können nicht einmal tanzen. Meistens wird rumgehopst. Zwar widerspräche eine synchrone Ensemble-Choreographie dem Geist der Selbstbefreiung, aber das sollte nicht heißen, daß man die Compagnie nur turnen läßt.

Manchmal hat man das Gefühl, auf Klassenreise zu sein. Die Darsteller grinsen nicht selten über ihre eigenen Witze und machen ständig die selben: Bis zum Exzess wird Geschlechtsverkehr angedeutet, und der Oberhippie Berger faßt seinem Freund Claude ungefähr zwanzigmal zwischen die Beine. Was soll diese plump inszenierte Sexualität? Provozierend wirkt die Pseudo-Obszönität nicht, eher traurig. Geht es doch eigentlich um mehr, oder?

Der Konflikt des Zögerers Claude, dem es nicht gelingt, sich vollkommen von den Ansprüchen der Gesellschaft zu lösen, geht unter. Charaktere werden nicht entwickelt. Die Angst, von der bürgerlichen Gesellschaft verstoßen, auch den Ansprüchen des Hippie-Lebens nicht zu genügen, verkommt zu karikativ inszenierter Belanglosigleit.

Auch das seltsame Bühnenbild kann den Abend nicht retten. Was soll diese Aluminiumleiter da im Hintergrund? Oder wurde das Gerät einfach nur nach den Aufbauarbeiten nicht wieder weggenommen?

Das einzig erfreuliche an dem Ganzen ist der Gesang der jungen Darsteller. Stimmlich sind fast alle überzeugend und begeisterten das stehend applaudierende Premierepublikum mit „Aquarius“, „Hare Krishna“und allen weiteren Ohrwürmern der langhaarigen Ex-Jugend. Den Zuschauern hat das zum Hippie-Spektakel verkommene Musical Spaß gemacht. Die älteren Besucher tanzten und klatschten in jugendlicher Begeisterung mit, und die Teenies im H&M-Hippie-Look der Neunziger freuten sich über den poppigen Ausflug in die Jugend ihrer Eltern. Katja Fiedler

tägl. 20 Uhr, St. Pauli Theater, bis 14. August