Kunst, die dich sehen kann

Dippen, Peppen, Würzen, Aufklären: Auf dem Weg in die Ausstellung der Galerie der Stadt Stuttgart begegnet man der Konterbande, die der Medienkünstler Les Levine unter die Werbetafeln der Stadt schmuggelte  ■ Von Gabriele Hoffmann

Ein lang bewimpertes blaues Auge mit grüner Iris und einem gelben Querbalken über der roten Pupille verkündet von Plakatwänden „Art Can See“. Gleich neben „Dippen, Peppen, Würzen“ klebt ein aufmunterndes „Form Illusions“: eine Kinderhand, die am Zeigefinger einer Erwachsenenhand zerrt. Mit diesen und zwei weiteren Motiven auf 200 Billboards mischt sich Les Levine unter die Werbetafeln in der Stuttgarter City. Ein Teil der Wirkung geht allerdings überall dort verloren, wo das auf Querformat und eine bestimmte Größe berechnete Bild-Text-Verhältnis den kleineren, hochformatigen City-Light-Tafeln angepaßt wurde. In Stuttgart kennt man den in Dublin gebürtigen, in New York lebenden Medienkünstler seit seiner Billboard-Kampagne „Consume or Perish“ 1989. Sie war der Beginn einer Zusammenarbeit mit der Galerie Brigitte March, die in den folgenden Jahren Levine mehrfach mit Aquarellen, Fotos, Scannerbildern und Videos zeigte, also Arbeiten, die seinen Außenraumaktionen vorausgingen oder sie im nachhinein reflektierten.

Zur Zeit empfängt nun Les Levine die Besucher mit „Look good, Look bad, Look clever“ in der renovierten Galerie der Stadt Stuttgart. Es ist eine Ausstellung, bei der die Plakate der parallel laufenden Außenwerbungsaktion nur wenig verändert aus der Stadt ins Museum zurückkehren.

Getarnte Aufrufe zur Gewissenserforschung

Die Doppelstrategie ist ein Novum für den zweiundsechzigjährigen Medienkünstler, der seit den sechziger Jahren mit Billboard-Kampagnen in den USA, Kanada und Europa den Menschen auf der Straße begegnen will. Das, was draußen Wirkung hat, ohne auf Kunst zu pochen, soll sich für den Einzug ins Museum nicht fein machen müssen. „Wenn dich etwas nicht interessiert, dann interessiert es dich nicht, es wird dir nicht gesagt, das ist Kunst, es ist einfach da.“ Doch weil es Levine drinnen wie draußen um aufklärende Wirkung geht, versucht er die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen von Passanten, die im belebten Stadtraum für Sekunden die Informationen seiner Werbetafeln streifen, und Menschen, die vorsätzlich die Ausstellung besuchen, in seiner Ästhetik zu berücksichtigen. Das „Good Taste Is No Excuse“ in schwarzer Schrift horizontal über vertikalen Farbstreifen, das dem Museumsbesucher seinen gewohnten Rückzug aufs Geschmacksurteil vorwirft, hätte im Gewühl der Einkaufsstraße kaum eine Chance, begriffen zu werden. Das gelingt eher mit einem lapidaren „Taste Makes Waste“, für das sich im Außenraum drei Löwenköpfe – gelb auf blauem Grund – stark machen. Levines Antwort auf die Frage, welches Produkt er denn auf seinen Werbetafeln anpreise, lautet: „mind“. Ein Wort, das nicht nur schwer ins Deutsche zu übersetzen ist, dessen Mehrdeutigkeit auch im englischsprachigen Raum mehr Fragen als Antworten provoziert. Was durch die Werbeästhetik so leicht konsumierbar erscheint, entpuppt sich als Aufruf zur Gewissenserforschung. So könnte etwa die Botschaft von „Art Can See“ lauten: Es ist Zeit, daß die Rollen vertauscht werden und nicht mehr wir die Kunst, sondern die Kunst uns fest ins Auge faßt.

Hatte sich Les Levin 1986 mit seiner „Blame God“-Kampagne in London oder mit Plakaten wie „Verzeihe dir selbst“ zu einem Porträt der Anne Frank (documenta 8 in Kassel) noch in aktuelle politische Diskussionen eingemischt, so zielt das durch die City von Stuttgart vagabundierende Auge auf ein „Change your mind“, nicht nur in Sachen Kunst. Wer sich auf dem Weg zur Arbeit angeblickt fühlt und Levine ins Museum folgt, erlebt, wie von wandhohen Postern Bilder und Sprüche auf ihn niederprasseln: „Ignore Logic“, eingerahmt von Schweinsköpfen, „Compete Defeat“ – ausgestreckter Daumen, mal aufwärts, mal abwärts zeigend, „Doubt Identity“ oder blaue, violette und gelbe Enten sollte man nicht in einen Topf werfen. Dazu das Gegenbild: viele gelbe Schneemänner mit orangenen Hüten, die nur eines wollen: „Pretty Please“. Alle Freunde der schönen Kunst, die auf der diesjährigen documenta nicht auf ihre Kosten kommen, dürfen sich angesprochen fühlen.

Bis 31.8. Der Katalog kostet 48 Mark