Kontoliste mit Kriegsverbrecher

■ Nazikollaborateur deponierte sein Geld in der Schweiz

Berlin (taz) – Auf der von der Schweizerischen Bankiervereinigung am Mittwoch veröffentlichten Liste von 1.756 Besitzern sogenannter „nachrichtenloser“ Konten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs (siehe taz von gestern) steht der Name mindestens eines Kriegsverbrechers. Darauf wies gestern der Nazijäger Simon Wiesenthal hin. Es handelt sich um den Österreicher Dr. Vojtech Tuka, der in der Liste mit Wohnsitz Wien genannt wird. Tuka war unter dem Staatspräsidenten Jozef G. Tius von 1939 bis 1945 Ministerpräsident des Nazisatellitenstaates Slowakei. Vorher war er Universitätsprofessor und Führer der antitschechischen und faschistischen Parteimiliz Rodobrana.

Weil Tuka für die Judendeportationen aus der Slowakei verantwortlich gewesen sei, forderte Wiesenthal, als „Akt der Gerechtigkeit“, die Gelder aus diesem „nachrichtenlosen Konto“, dem Schweizer Hilfsfonds für Naziopfer zu überweisen. Etwa 107.000 Juden seien unter Tukas Ägide an die damalige polnische Grenze gebracht und von der SS nach Auschwitz, Treblinka, Sachsenhausen und Theresienstadt geschickt worden. Zuvor habe man die Juden ihres Vermögens beraubt.

Tuka wurde nach einem Volksgerichtsprozeß am 20. August 1946 im damaligen Preßburg, heute Bratislava, gehängt. Das Büro Wiesenthal will die Liste der Schweizerischen Bankiervereinigung jetzt ausführlich prüfen. Es sei nicht ausgeschlossen, daß sich hinter weiteren Namen noch Nazikollaborateuere und Profiteure verbergen, meint Wiesenthal. Der Rundfunksender BBC berichtete gestern, mit Verweis auf das Wiener Dokumentationszentrum, von acht Namen mußtmaßlicher Kriegsverbrecher.

Die als Zeitungsanzeige in 19 Sprachen in 29 Ländern erschienene Liste löste ein gewaltiges Echo aus. Die gebührenfreien Telefone der fünf Kontaktbüros standen keine Minute still, und auch im Internet (http://www.dormantaccounts.ch) wurde die Liste ununterbrochen abgerufen. Ein Erbberechtiger aus Deutschland erfuhr von einem Journalisten, daß sein Name auf der Liste stand. Harsche Kritik an der Veröffentlichung der Namensliste kam vom Schweizer Datenschutzbeauftragten. Die Namen seien ungeprüft und ohne weitere Recherche aus den Registraturen der Banken übernommen worden.

Der Direktor der Jewish Agency, Avraham Burg, kritisierte, die Liste enthalte zu wenige Namen. Bis September werde er daher eine eigene vorlegen. Sie werde vermutlich 20.000 Namen umfassen. Zugleich regte er an, eine internationale Kommission zu schaffen, die den Raub des jüdischen Besitzes während des Zweiten Weltkriegs untersuchen solle. Ganz Europa habe sich „die Hände schmutzig gemacht“. Der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, erklärte, die Nachkommen jüdischer Familien hätten nicht nur Forderungen gegenüber der Schweiz, sondern auch gegenüber 22 anderen Länder, darunter die USA. Anita Kugler